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Der rauhe, wilde Charakter, den besonders der Hauptkamm des
Gebirges trägt, erklärt es wohl, daß es in der Volkssage als das
Gebiet eines neckischen, nur selten gütigen Berggeistes angesehen
ward. Dieser Berggeist oder Herr vom Gebirge ist der allbekannte
»Rübezahl«, der die oft, aber matt .besungenen Sudeten zu einem
»Parnaß der Schlesier« gemacht hat. Noch heute erinnern an diese
Sage die sog. »Rübezahls Kanzel«, eine 15' hohe Gcanitmasse, und
der »Rübezahlsgrund« Wer hätte nicht schon als Kind eine dieser
Sagen aus dem Munde älterer Leute vernommen? »Freund Rübe¬
zahl«, sagt Musäus, »ist geartet wie. ein Kraftgenie; launisch, un¬
gestüm, sonderbar; bengelhaft, roh, unbescheiden; stolz, eitel, wan-
kelmüthig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; zu
Zeiten gutmüthig, edel und empfindsam, aber mit sich selbst in ste¬
tem Widerspruch; albern und weise, oft weich und hart in zween
Augenblicken, wie ein Ei, das in siedend Wasser fällt; schalkhaft
und bieder, störrisch und beugsam; nach der Stimmung, wie ihn
Humor oder innerer Drang beim ersten Augenblick jedes Ding er¬
greifen läßt«. »Dieser Fürst der Gnomen besitzt zwar aus der
Oberfläche der Erde nur ein kleines Gebiet, von wenig Meilen im
Umfang, mit einer Kette von Bergen umschlossen, und theilt dies
Eigenthum noch mit zwei mächtigen Monarchen, die sein Condomi-
nium (d. i. seine Mitherrschaft) nicht einmal anerkennen. Aber
wenige Lachter unter der urbaren Erdrinde hebt seine Alleinherr¬
schaft an, die kein Partagetraktat (d. i. Theilungsvergleich) zu schmä¬
lern vermag, und erstreckt sich auf 860 Meilen in die Tiefe, bis
zum Mittelpunkt der Erde. Zuweilen gefällt es dem unterirdischen
Starosten (d. i. Landhauptmann oder Statthalter) seine weitgedehn¬
ten Provinzen in dem Abgrunde zu durchkreuzen, die unerschöpf¬
lichen Schatzkammern edler Fälle und Flöhe zu beschauen, die Knapp¬
schaft der Gnomen zu mustern und in Arbeit zu setzen, theils um
die Gewalt der Feuecströme im Eingeweide der Erde durch feste
Dämme aufzuhalten, theils mineralische Dämpfe zu sahen, mit reich¬
haltigem Schwaden taubes Gestein zu bescbwäilgeril und es in edles
Erz zu verwandeln. Zuweilen entschlägt er sich aller unterirdischen
Regierungssorgen, erhebt sich zur Erholung auf die Grenzfeste sei¬
nes Gebiets und hat sein Wesen auf dem Riesengebirge, treibt da
Spiel und Spott init den Menschenkinderil, wie ein froher Ueber-
müthler, der, um einmal zu lachen, feinen Nachbar zu Tode kitzelt«. *)
Schließlich erinnere ich noch an einige Sagen. Dahin gehört z. B.
die Erzählung von einem Juden, der durch Rübezahl beraubt wurde.
Diese That sollte aber später ein armer Handwerksbursche, der den
Berggeist gefoppt hatte, ausgeübt haben und daher wurde selbiger
zum Strange verurtheilt. Doch als das peinliche Halsgericht vor
sich gehen sollte, ließ Rübezahl, an Statt des Armen, sich selbst auf¬
knüpfen und zur großen Verwunderung sah man am andern Morgen
Gcozr. Skizzen. -