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Kind: „Giebt es denn noch mehr solehe Käuze auf der
Welt, wie du einer bist?“
Eule: „Ei ja wobl. Ieh habe allerlei Verwandte. Einen
recht grossen hbabe ieh, den man von seiner schauerlichen
Stimme den Uhu nennt. Der bat grosse Beueraugen, einen
krummen Schnabel und gewaltige Krallen. Er wobnt in
grossen, dicken Waldern, wo es recht alte Bäume, verfallone
Sehlõsser und Felsen giebt, und sohreit: „Hu hu, puhu, puhu“;
das lautet in der finstern Nacht gar schauerlich. Dazwisehen
bellt er wie ein Hund. Er ist ein gewaltiger Nachträuber,
der nieht bloss Mause und Ratten, sondern auch Igel, Hasen
und junge Rehe umbringt und mit Haut und Haaren und
Stacheln verschlingt.“
Kind: „Jetzt höre auf, sonst halte ich meine Ohren zu.
Du kannst mir mit deinem ganzen Geschlechte vom Halse
bleiben.“
206. Noch zwei Vögel.
Es giebt zwei Vögel, die sind bekannt,
sie helßen Habich und Hatt ich⸗
Fromm ruhet euch jener in der Hand,
doch dieser fliehet euch spöttig.
Ein „Hab' ich“ erfreuet seinen Herrn
und kann wohl besser ihm nützen
als tausend „Hätt' ich,“ die hoch und fern
auf Dächern und Bäumen sitzen.
Das Vög'lein legt ihm manch' gold'nes Ei
und singt: „Sei zufrieden, zufrieden!“
Er treibt sein Tagewerk fröhlich dabei,
und Schlaf erquicket den Müden!
Doch wer einen „Hätt' ich“ ins Auge faßt
und ihn begierig erstrebet,
der hat nicht Ruhe, der hat nicht Rast,
so lang' er auf Erden lebet.
Er rennt und keucht bis an seine Gruft
thalauf und wieder thalnieder,
und immer rauscht in der hohen Luft
der Vogel mit gold'nem Gefieder
Drum läßt sich jeder verständige Mann
an seinem „Hab' ich“ genügen,
und lacht ihn auch manchmal ein „Hätt' ich“ an,
so läßt er mit Gleichmut ihn fliegen.