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werden; sie wird „gehärtet“. In Häufchen von etwa 10 000 Stück
werden nämlich die Nadeln auf Eisenblechtafeln in Glühöfen rotglühend
gemacht, abgelöscht und dann in siedendes Öl gesteckt, in dem sie
ihre Farbe erhalten. Je nachdem sie kürzere oder längere Zeit darin
bleiben, laufen sie hellgelb, dunkelgelb oder blau an.
Endlich werden die Nadeln in einer Scheuerbank unter Anwendung
von Schmirgel und Rüböl mehrmals gescheuert und poliert.
Die fertigen Nadeln müssen gezählt und verpackt werden. Das
Zählen geschieht auf Linealen, die so viel kleine Querfurchen haben,
als Nadeln jedesmal gezählt werden sollen. Man nimmt eine Handvoll
Nadeln und streicht sie so über das Lineal, daß in jeder Furche eine
Nadel liegen bleibt. Die schadhaften und zerbrochenen werden aus¬
geschieden und die übrigbleibenden guten in Nadelbriefchen verpackt.
So hat die fertige Nadel 60—70 Hände in fleißige Bewegung gesetzt,
bis sie in ihrer vollendeten Gestalt herausgeht und in alle Welt eilt.
Walter Nohl. (Originalartikel.)
171. Eine Weinlese am Rhein.
I. Herbstferien im Weinlande.
1. In der Nähe des herrlichen Rolandseck im Siebengebirge lag
das Gut des Onkels Lerch, den seine beiden Neffen, zwei frische, junge
Bürschchen, zur Zeit der Weinlese besuchten.
Auf dem Hofe herrschte bei ihrer Ankunft ein buntes Treiben.
Da standen allerlei Hübel, Bütten, Fässer und sonstige Gefäße umher,
die von den Leuten des Onkels gereinigt wurden. Unter einem
großen Schuppen waren zwei mächtige Heitern zu sehen, die bereits
zum Gebrauch aufgestellt waren und ihres süßen Inhalts harrten.
Alles war unsern Stadtkindern neu, und tausenderlei hatten sie den
Onkel zu fragen, der sie zumeist auf die nächsten Tage vertröstete,
wo sie alles ans eigener Anschauung kennen lernen sollten.
2. Der andere Morgen fand unsre beiden Gäste oben in des
Onkels Giebelzinnner beizeiten wach. Unten im Hofe hörten sie
schon Leben und Treiben, ein vielstimmiges Schwatzen und Lachen,
ein Hämmern und Pochen, so daß sie geschwind in die Hleider fuhren,
um ja nicht die letzten auf dem Platze zu sein. Im Halbdunkel des
Morgengrauens eilten sie die Treppe hinab nach dem Wohnzimmer,
wo Onkel und Tante beim Haffee saßen, den die beiden sich nun
auch trefflich munden ließen.