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6. Linst kamen zwei so große in einem Jahr herbei;
schwer ward die Wahl den Mönchen, welcher zu fangen sei.
Sie hätten sich sollen begnügen!
7. Sie fingen alle beide; den Lohn man da erwarb,
daß sich das ganze Kloster den Magen dran verdarb.
Sie hätten sich sollen begnügen!
8. Der Schaden war der kleinste, der größte kam nachher:
Ls kam nun gar zum Kloster kein Fisch geschwommen mehr.
Sie hätten sich sollen begnügen!
9. Sie hat so lange gnädig gespeiset Gottes bsuld;
daß sie nun des sind ledig, ist ihre eigne Schuld.
Sie hätten sich sollen begnügen!
Friedrich Rückert.
231. Herta.
(Die Sage kam erst im 16. oder 17. Jahrhundert nach Rügen. Der richtige Name ist
Nerthus, und das Heiligtum der Göttin war vielleicht auf Seeland.)
1. Es war ein liebliches Eiland, im Baltischen Meere gelegen.
Nicht fern vom Rande der Insel im Schatten gewaltiger Buchen lag
ein klarer, fast zirkelrunder See. An seinem nördlichen Ufer erhob
sich mit ihren hohen Wällen die Hertaburg. Sie war der Sitz der
Göttin Herta, der Geberin alles Segens in Feld und Wald. Uralte
Buchen bildeten rundherum jenen heiligen Hain, den nur der Fuß
des Priesters betrat. Tiefe Stille herrschte in dem dunkeln Schatten
der Bäume, und kein Uneingeweihter wagte das leise Flüstern der
Untergötter zu unterbrechen. Selbst der gewaltige Ur, das riesige
Elen, der heulende Wolf und der grimmige Bür schienen scheu zurück¬
zubleiben von dem heiligen Ort, dem der Mensch nur iu tiefster Ehr¬
furcht sich nahte.
2. Wenn aber mit dem wiederkehrenden Lenz die erstarrte Erde
unter den erwärmenden Strahlen der Sonne erwachte, und die schlum¬
mernden Binder des Frühlings von ihrem langen Winterschlaf er¬
standen, wenn Tausende der befiederten Sänger ihre Lieder erschallen
ließen zum Lobe der schaffenden Herta, dann tauchten ganze Scharen
riesiger Männergestalten aus dem Dunkel der Wälder hervor, dem
heiligen Haine sich nahend. Sie sind gekommen, um das Frühlings¬
fest zu feiern zur Ehre ihrer Göttin Herta. Schon ist diese herab¬
gestiegen auf ihren Wagen im heiligen Haine; schon haben die Priester
den Wagen bespannt mit den geweihten Kühen und ihn bedeckt mit
köstlichen Teppichen. Erwartungsvoll steht die Menge. Da naht der