Full text: [Teil 1 = 2. u. 3. Schulj] (Teil 1 = 2. u. 3. Schulj)

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Und der Werdendaum nickte mit dem Kopfe, gerade als ob er damit 
sagen wollte: „Ja, das tue ich freilich!" Aber der Buchweizen spreizte 
sich aus lauter Hochmut und sagte: „Der dumme Baum! Er ist so alt, 
daß ihm Gras im Leibe wächst." 
3. Nun zog ein schrecklich böses Wetter auf. Alle Feldblumen falteten 
ihre Blätter zusammen oder neigten ihre kleinen Köpfe herab, während 
der Sturm über sie dahinfuhr; aber der Buchweizen prangte, in seinem 
Stolze. 
„Neige dein Haupt wie wir!" sagten die Blumen. 
„Das brauche ich durchaus nicht!" erwiderte der Buchweizen. 
„Senke dein Haupt wie wir!" rief das Getreide. „Nun kommt des 
Sturmes Engel geflogen. Er hat Schwingen, die reichen oben von den 
Wolken bis gerade herunter zur Erde, und er schlägt dich mitten durch, 
bevor du ihn bitten kannst, dir gnädig zu sein." 
„Ja, aber ich will mich nicht beugen!" sagte der Buchweizen. 
„Schließe deine Blumen und neige deine Blätter!" sagte der alte 
Weidenbaum. „Sieh nicht zum Blitz empor, wenn die Wolke berstet! 
Selbst die Menschen dürfen das nicht; denn im Blitze kann man in Gottes 
Himmel hineinsehen, aber dieser Anblick vermag selbst die Menschen zu 
blenden. Was würde aber nicht uns, den Gewächsen der Erde, geschehen, 
wenn wir es wagten, wir, die doch weit geringer sind!" 
„Weit geringer?" sagte der Buchweizen. „Nun will ich gerade in Gottes 
Himmel hineinsehen!" Und er tat es in seinem Übermut und Stolz. Es 
war, als ob die ganze Welt in Flammen stände, so blitzte es. 
4. Als das böse Wetter später vorbei war, standen die Blumen und 
das Getreide in der stillen, reinen Luft ganz erfrischt vom Regen. Aber 
der Buchweizen war vom Blitze kohlschwarz gebrannt; er war nur ein totes 
Unkraut auf dem Felde. 
Und der alte Weidenbaum bewegte seine Zweige im Winde, und es 
fielen große Wassertropfen von den grünen Blättern, gerade als ob der 
Baum weinte. 
Da fragten die Sperlinge: „Weshalb weinst du? Hier ist es ja so 
gesegnet. Sieh, wie die Sonne scheint; sieh, wie die Wolken ziehen! Atmest 
du nicht den Duft von Blumen und Biischen? Weshalb weinst du, alter 
Weidenbaum?" 
Und der Weidenbaum erzählte vom Stolze des Buchweizens, von 
seinem Übermut und von der Strafe, die diesem immer folgt. Ich, der 
ich die Geschichte erzähle, habe sie von den Sperlingen gehört. Sie 
erzählten sie mir eines Abends, als ich sie um ein Märchen bat. 
Hans Christian Andersen.
	        
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