Full text: [Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj] (Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj)

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sahen nämlich alte Käuze von schier dreißig Jahren mit zwölfjährigen 
Kindern zusammen. 
Luther hat fleißig studiert; was von Anlage und Gabe in ihm 
war, blühte jetzt fröhlich auf. Scharfsinnig und schnellen Geistes, gewandt 
und der Sprache gleich mächtig im Schreiben und Reden, ob in Versen 
oder in Prosa, so zog der siebzehnjährige Luther aus Eisenach gen Erfurt. 
Wie mag's ihm aber gewesen sein, als er zehn Zähre später, ein Ge¬ 
bannter des Papstes und Geächteter des Kaisers, droben von den Zinnen 
der Wartburg herabschaute auf seine liebe Stadt, darinnen er einst ge¬ 
sungen hatte und ums Brot gegangen war! 
Zweierlei steht über dem Zugendmorgen Luthers geschrieben. Einmal: 
„Es ist einem Manne köstlich, daß er sein Zoch trage in der Zugend" — 
und zum andern: „Wohl gebetet ist halb studiert." So kam daraus der 
Doppelsegen, daß er sich herunter hielt zu den Armen und Geringen und 
hinauf hielt zu dem Größten, zu dem Herrn im Himmel, der die Niedrigen 
erhebt und die Gewaltigen vom Stuhle stößt. Emil Fromme!. 
66. Luther auf der Wartburg. 
1. Heimkehrend reiste Luther anfangs unter dem Geleite des kaiser¬ 
lichen Herolds, den er später zurücksandte. Er bog am 3. Mai von der 
geraden Straße ab und blieb über Nacht in Möhra. Andern Tags geleiteten 
ihn seine Verwandten, bis der Abend hereinbrach, dann entließ er sie. 
Als er in stiller Dämmerung mit seinen beiden Genossen weiterfuhr und 
an eine alte, halb verfallene Kapelle kam, bei der die Straße in ein Waldtal 
einbog und an einem Bachufer sich bergan zog, brachen plötzlich vermummte 
Reiter hervor, fielen fluchend den Pferden in die Zügel, rissen Luther 
vom Wagen herunter und schleppten ihn mit sich fort. Der eine der Ge¬ 
nossen floh Hals über Kopf in den Wald, der andre blieb entsetzt sitzen. 
Der Fuhrmann starrte den Flüchtenden nach, bis sie der Wald verschlang. 
Dieser Überfall geschah im Auftrag Kurfürst Friedrichs und war mit 
Luther verabredet; denn der Fürst fürchtete für seine Sicherheit und wünschte 
ihn darum eine Zeitlang vor der Welt zu verbergen. 
Hoch über den Wald blickt von ihrer stolzen Höhe die Wartburg. 
Dorthin führte der Schloßhauptmann Hans von Berlepsch im Dunkel der 
Nacht den Überfallenen und hielt ihn dort in stiller Abgeschiedenheit. 
2. Inzwischen erging der Spruch des Kaisers, der auf Acht und 
Aberacht lautete. Niemand sollte Luther aufnehmen, speisen, tränken, betten 
und hausen, sondern, wo er sich betreten lasse, solle man ihn verhaften und 
dem Kaiser ausliefern. 
Viele Deutsche betrauerten Luther, da sie nicht anders meinten, als 
er sei von seinen Feinden aufgehoben, vielleicht schon getötet oder wenigstens
	        
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