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gen mx aus, um unsre Reise zu Fuß fortzusetzen. Nachdem wir ly, Stun-
den gewandert sind, stehen wir am See.
2. Wir besteigen einen der vielen Kähne, die am Seeufer sich auf
den Wellen schaukeln. Ein kräftiger Bursche in grauer Joppe, kurzen
Hosen und Spitzhut auf dem Kopfe rudert uns hinaus auf die blitzende
Fläche. Wir blicken ins Wasser. Es erscheint hellgrün. Wir sehen jedes
Sternchen auf dem Grunde. Aber je weiter wir fahren, desto dunkler
wird das Wasser. Es nimmt eine bläulich grüne Farbe an. Wir merken,
daß wir über unergründliche Tiefen hingleiten. Hier und da springt ein
Fisch aus dem Wasser, und silberne Kreise bezeichnen die Stelle, wo er
wieder verschwindet. Es ist eine der Lachsforellen, die in großer Menge
im See leben und um ihres schmackhaften rötlichen Fleisches willen ge¬
fangen werden.
Wir blicken aber auch um uns! Welch herrliches Bild! Gewaltige
Felsenwände steigen steil empor an den Ufern des Sees. Von ihnen
stürzen rauschende Bäche hinab in den See. Unser Schiffer zieht das
Ruder ein. Er ergreift ein Gewehr, das neben ihm auf dem Boden liegt,
und schießt es ab. Die Felsenwände geben den Knall hundertfach wieder.
Wie lang anhaltender Donner klingt das Echo an unser Ohr. Weiler
geht die Fahrt! Über uns der blaue Himmel, unter uns die grünblaue
Flut, um uns die himmelanstrebenden grauweißen Felsen.
3. Nach einiger Zeit nähern wir uns dem oberen Ende des Sees.
Wir verlassen den Kahn. Vor uns breitet sich ein weites Trümmerfeld
aus. Gewaltige Steinblöcke, die einst auch in luftiger Höhe thronten,
sind herniedergestürzt und zerschellt. Wir fürchten uns nicht vor der be¬
schwerlichen Wanderung über dieses Gestein. Munter klettern wir über
die gewaltigen Blöcke und stehen schon nach zehn Minuten vor einem
zweiten See, der ebenfalls umschlossen ist von himmelhohen Felsen, von
denen Wasserfälle mit einförmigem Rauschen ihre Gewässer niedersenden.
Über die Felswände hinaus, die das Seebecken einfassen, ragt noch ein
gewaltiger Gipfel. Er spaltet sich in zwei Hörner, die durch eine schmale,
mit ewigem Schnee bedeckte Wand verbunden sind. Ein versteinerter König
ist's mit seinem Weibe. So meldet die Sage. Watzmann ist sein Name.
Vor uralter Zeit herrschte er über das Alpenland. Sein Schloß
stand in der Nähe des Königsees und blickte freundlich mit seinen hohen
Türmen hinaus in das Land. Er war aber grausam und hart gegen
alle seine Untertanen und quälte Menschen und Tiere. Einst überritt
er auf einer Zagd ein altes Mütterlein, welches mit seinem Enkelkinde
vor einer kleinen Hütte ruhte, so daß das Kind mit seiner Wärterin
einen entsetzlichen Tod fand. Als auf das Wehgeschrei der Sterbenden
die Eltern entsetzt aus der Hütte eilten und laut jammerten, hetzte er