Full text: [Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj] (Teil 2 = 4., 5. u. 6. Schulj)

365 
auf sie seine wilden Hunde und ließ sie zerreißen. Da hob das Mütterlein 
noch einmal seine blutende Hand gen Himmel und flehte um Strafe für 
den Wüterich. Und die Strafe folgte der Untat! Der König und seine 
Gemahlin, die kalt zugesehen hatten, wurden in riesige Felsen verwandelt 
zum warnenden Beispiel für herzlose und grausame Menschen. 
4. Früher standen Obersee und Königsee in Verbindung. Erst durch 
die herabstürzenden Blöcke ist der breite Damm entstanden, der jetzt die 
beiden Seen trennt. Freilich hat es Jahrhunderte gedauert, ehe dieser 
Damm so breit und fest wurde, wie er jetzt ist. 
Natürlich macht der Königsee nicht immer ein freundliches Gesicht. 
Während eines Gewitters schaut er anders aus. Der Sturm braust hin 
über den See und peitscht das Gewässer zu Schaum. — Furchtbar hallt 
der Donner wieder von den steilen Wänden und Felsen. Wehe dann 
denen, die im kleinen Kahne sich auf dem See befinden. Die Wellen stürzen 
den Nachen um und begraben die Insassen in der Flut. Es liegt manch 
Menschenkind tief drunten im See begraben, das froh und wohlgemut 
vom Ufer abstieß! 
5. Wir wandern zurück bis Berchtesgaden, um dort über Nacht zu 
bleiben. Der Tag neigt sich zu Ende. Die letzten Strahlen der Sonne 
vergolden die Wolkenschäfchen am Himmel. Wir suchen ein behagliches 
Gasthaus auf. Schon viele Reisende sind dort eingetroffen. Sie sitzen 
vor dem Hause und bewundern die Reize der Berglandschaft! 
Julius Tischeudorü 
210. Der Geißbub in den Klpen. 
1. Eeißbuben nennt man die Ziegenhirten in der Schweiz. Es sind 
meistens Jungen von 14—16 Jahren, die mit ihren Herden hinauf in 
die Alpen ziehen, sobald der Frühling beginnt, und erst im Herbst wie¬ 
der von den Bergen hinunter ins Tal steigen. Wohin kein Senn mit den 
schweren Kühen treiben darf, weil Weg und Steg verschwinden, da klettert 
der braune, fröhliche Knabe mit der meckernden Ziegenschar hinauf und 
träumt sich größer und reicher als Könige und Kaiser. Sein Gebiet 
ist da, wo der Adler kreist und die Gemse weidet, hart an der Grenze 
des ewigen Schnees, der Wolken und der Stürme. Zwar ist das Gras 
hier spärlich, aber man läßt in der Schweiz nicht leicht einen Grashalm 
unbenutzt, und je höher dieser wächst, um so würziger und kräftiger ist er. 
Menschenhände würden diese kräftigen Kräuter und Gräser in dem Gewirr 
der Felsen nicht abzumähen vermögen; die kletterlustigen Ziegen wissen sie 
zu finden, und der Geißbube hängt mit ihnen oft wie ein Schieferdecker 
über schrecklichen Abgründen oder klettert an Felswänden wie eine Katze 
entlang, wo kaum ein Fuß Platz hat, wo eine einzige Ungeschicklichkeit un¬ 
barmherzig in den Abgrund führt, wo ein zollbreit rechts oder ein zollbreit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.