371
schlossene Reihe von oft 1000 bis 2000 Köpfen stillstehe oder doch ganz
unmerklich nur sich fortbewege. Beim Näherkommen bemerkt man freilich
bald, das; auch diese Masse meist in gleichmäßiger Vorwärtsbewegung ist
Langsam, schrittweise geht die Herde weidend vor, soweit es die Weide-
fläche erlaubt, oder soweit die Hirten es wünschen. Ebenso langsam und
ebenso regelmäßig und unaufhaltsam geht es zurück zur Tränke, fei es
nun zum Pußtabrunnen oder zum fließenden Wasser. Dieses drei- oder
viermalige Hin- und Herwandern von der Weide zum Wasser und zurück
bildet den Tageslauf der Rinderherde. Das vollzieht sich mit solcher
Ebenmäßigkeit, daß man bei einiger Kenntnis der örtlichen Verhältnisse
nach dem augenblicklichen Standort der Herde mit ziemlicher Sicherheit die
Tageszeit bestimmen kann. Eigentümlich ist dabei, daß bei diesem Vor¬
gehen die vorderste Reihe oft eine gerade, man möchte sagen militärisch
ausgerichtete Front bildet. Auch sonst kann man eine gewisse strenge,
natürliche Ordnung erkennen. So habe ich beobachtet, wie eine große Herde
abends von der Tokajer Pußta zurückkehrte; den Nachtrab bildeten sämt¬
liche alte Bullen. Die ganze Herde benutzte den etwas weitern Weg über
die Brücke, die alten Bullen, einer nach dem andern, den kürzern nebenher
durch das tote Wasser, welches in beträchtlicher Breite vor dem Dorfe
nach der Theiß sich hinzieht, worüber sie schwimmend setzten.
3. In diesem Nachtrabe von Bullen werden auch die Kämpfe zwischen
den einzelnen Bullen ausgesuchten, die unheimlich genug aussehen, aber
meist sehr ungefährlich enden. Die gewaltigen Tiere mit den riesigen
Hörnern, deren Spitzen oft gegen zwei Meter voneinander entfernt sind,
überragen unser Rindvieh an Größe, Länge, namentlich aber an voll¬
endetem Ebenmaß des Körpers derart, daß dieses dagegen zwerghaft
und gewissermaßen verkrüppelt aussieht. Bei den täglichen Kämpfen zwi¬
schen den Bullen einer solchen Herde, platzen diese mächtigen Körper mit
einer solchen Gewalt aufeinander, daß man unwillkürlich die Empfindung
hat, es müsse das mit dem Tode des einen enden. Gewöhnlich wird auch
einer von beiden alsbald niedergeworfen, erhebt sich aber ebenso schnell
und setzt den Kampf fort, wird vielleicht noch zwei- bis dreimal geworfen,
und plötzlich endet das aufregende Schauspiel ebenso unvermittelt, wie
es begonnen hat.
4. Im allgemeinen aber, und besonders Menschen gegenüber, ist dieses
ungarische Rindvieh auffallend gutartig. Anfangs hegt man eine gewisse
Scheu, auf der Pußta durch eine solche Herde von 1200 oder mehr Stück
hindurchzugehen, wenn man sie auf seinem Wege trifft; diese Scheu ist
aber durchaus unbegründet, wie ich mich überzeugt habe. Man läuft
nicht die geringste Gefahr dabei; von beiden Seiten weichen die Tiere
ruhig, ohne jedes Zeichen von Erregung aus, und das erscheint so natür¬
lich, daß selbst die Bauerfrauen nicht daran denken, den Umweg um die
24*