10
von ihm zur Sonnenblume; denn er war gar eitel und wollte
sich in ein glänzendes Gewand kleiden.
Aber Gras und Rose und die übrigen Blumen lachten den
putzsüchtigen Schnee ans und erfüllten ihm seine Bitte nicht.
Und er zog traurig seines Weges.
Da kam er zum Schneeglöckchen gegangen, das einsam am
Wege stand, und klagte ihm sein Leid und weinte bittere Tränen.
„Wenn ich keine Farbe erhalte," sagte er, „so wird es mir wie
den: Winde ergehen, den niemand sehen kann, und der darum
so bös ist."
Das Schneeglöckchen war aber ein gutmütig Ding, und
es gab dem Schnee sein weißes Kleid. Da ward der verachtete
Schnee fröhlich.
Die hochmütigen Blumen aber, die ihn verlacht und ver¬
spottet hatten, haßt er seit jenem Tage. Und wo er nur ein
grünes Blättlein oder eine bunte Blüte erhaschen kann, da bringt
er ihnen den Tod.
Dem Schneeglöckchen aber tut er nimmer ein Leid.
16. Schneeglöckchen.
Von Heinr. Hoffmann von Fallersleben.
Kinderlieber. I. Ausgabe von Lionel von Donop. 2. Anst. Berlin 1878. S. 86..
1. Schneeglöckchen, ei, du bist schon da?
Ist denn der Frühling schon so nah?
Wer lockte dich hervor ans Licht?
Trau doch dem Sonnenscheine nicht!
Wohl gut er’s eben heute meint;
wer weiß, ob er dir morgen scheint?
2. „Ich warte nicht, bis alles grün;
wenn meine Zeit ist, muß ich blühn.
Der mich erschuf für diese Welt,
heißt blühn mich, wann es ihm gefällt;
er denkt bei Schnee und Kälte mein,
wird stets mein lieber Vater sein.“