285 
206. Das Riesengebirge. 
Auf der Grenze zwischen Böhmen und dem preußischen Schlesien 
erhebt sich in einer Länge von ungefähr 40 km das Riesengebirge. Die 
Sage läßt seine Berge in uralter Zeit von einem mächtigen Riesen¬ 
geschlechte bewohnt sein, und noch heute ist im Glauben des Volkes 
der zaubermächtige Geist des Gebirges, der in übermenschlicher Gestalt 
einherschreitet, nicht ausgestorben. Aber das Gebirge verdient in 
Wahrheit seinen Namen. Von den Ebenen aus erscheint es als eine 
bis über 1100 m steil ansteigende Riesenmauer, die sich in dunkler 
Bläue von dem lichten Himmelsgrunde abhebt und einen Eindruck 
gewährt, den kein anderes deutsches Mittelgebirge auszuüben vermag. 
Ebenso hat eine Wanderung über den Kamm des Riesengebirges im 
deutschen Mittelgebirge kein Seitenstück. Der Thüringer Wald ist auch 
ein Kammgebirge; aber man wandert auf dem Renusteige, der darüber 
hinführt, 6OO m niedriger, noch durch Wald und grasbedeckte Lich¬ 
tungen. Der Riesengebirgskamm zeigt einen ganz anderen Charakter. 
Seine Gipfel und höchsten Abhänge sind mit unzähligen Felsblöcken 
übersät, baumlos und nur mit dem eigentümlichen Knieholz bewachsen, 
das sich mit seinen uralten, wurzelartigen Stämmen weithin über die 
Klüfte legt, von Moosen umgeben ist und viele Hochgebirgspflanzen 
in seiner Nähe sieht, so das goldige Alpengebirgskraut, das den Wanderer 
nlit seinem gelben Scheine weithin erfreut. 
Die gewaltigste Kuppe des Gebirges ist die Schnee- oder Riesen¬ 
koppe, deren abgerundeter Gipfel 1600 m emporsteigt, die höchste Er¬ 
hebung des deutschen Mittelgebirges und außer den Alpen der erhabenste 
Punkt in Deutschland. Steile Zickzackwege führen zu ihren: Gipfel 
hinauf, auf dem eine runde Kapelle und zwei große Bauden stehen. 
Zwischen ihnen hin und durch die Kapelle geht die Landesgrenze 
zwischen Preußen und Österreich. Seit 1899 ist hier auch eine Wetter¬ 
warte erster Ordnung. 
Bei heiterer Luft ist die Aussicht von der Schneekoppe unbe¬ 
schreiblich schön. Der Blick schweift von Breslau bis Prag; Schlesien 
und Böhmen liegen wie eine Landkarte ausgebreitet. Das Auge 
erfreut sich an den hohen Kuppen und Kegeln der benachbarten Berge, 
an den im bläulichen Dufte verschwindenden fernliegenden Höhen und 
der hinter den Bergen sichtbaren Ebene mit den zahllosen Reichtümern 
ihrer Städte und Dörfer und dem bunten Teppich ihrer Fluren und 
Wälder. Im fernen Osten zeigt sich gegen Breslau hin der letzte Vor¬ 
posten des Gebirges, der weit schauende und weit sichtbare Zobten. 
Aber nur zu oft ist von dieser herrlichen Rundschau nichts zu sehen; 
nur zu oft besteigt der Herr des Gebirges seinen Thron und hüllt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.