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V.
Man ließ sie nicht lange in Ruhe plaudern. Eine junge Dame
uach der andern kam heran und verriet auf mehr oder minder feine
Weise ihr Erstaunen darüber, daß einer, der die Wahl unter Adler-
und Schwanenjungfrauen frei hatte, sich mit einem Gänschen be¬
schäftigen mochte.
Wie auf Verabredung ließen sie ihren Witz sprühen, daß es
uur so prasselte. Die Funken stoben, fielen über manchen guten
Namen her und vernichteten ihn.
Und der Prinz, ach, der Prinz stimmte ein. Er sah die Stirn
seiner lieblichen Nachbarin sich verfinstern, aber er stimmte ein.
Äa, er fand ein teuflisches Gefallen daran, jede geistreich vorge¬
brachte Bosheit zu überbieten. Es gelang ihm beispiellos. Der
Eenius der Verleumdung schien über ihn gekommen, und er brachte
bessen grausamste Eingebungen mit unbändigem Übermute vor.
Seine Zuhörerinnen stutzten, kicherten, erröteten. Viele gaben sich
Mühe, eine leise Schadenfreude zu verbergen; das waren die
Pfiffigen, die klugen, die hatten längst „so etwas" bemerkt.
Einige fühlten Mitleid und Bedauern, andere waren erstaunt.
Ein Zweifel an dem Schlechten, das er aussagte, stieg in
keiner auf, in keiner einzigen.
Und doch! — in einer doch — in der Lieblichen, die der
Prinz, so lange er sprach, kaum anzusehen gewagt hatte. Sie er¬
hob sich klopfenden Herzens, Tränen des Zornes standen in ihren
Augen.
„Von allem, was Sie da behaupten," sagte sie kühn ui?d
kaut, „glaube ich nichts!"
„Nichts? . . . von allem nichts?" ... Er stieß einen Schrei
aus, der an den Wänden widerhallte wie himmlische Musik, warf
sich auf die Knie vor seiner anmutigen Gegnerin und umfaßte
wit beiden Armen ihre zarte Gestalt.
„Du bist es!" rief er. „O Mutter — die ist's — die gab
wir das Erkennungszeichen!"
Im selben Augenblick öffnete sich die Decke des Saales, und
auf ihrem mit Feuervögeln bespannten Sonnenwagen kam die
Märchenkönigin herbeigeflogen.