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heimlich bei der Nacht fegen. Und bloß zwei knappe polztage haben
wir noch, und wer an einem andern Tage im polz getroffen wird, der
muß Strafarbeit tun, oder er kommt ins Gefängnis. Ach, lieber peil'ger
Lhrist, ich muß Dir auch mal schreiben von unseren Bruder Ludwig.
Der ist schon so lange krank und kriegt immer den Blutsturz so schlimm,
und die Mutter weint auch immer. — Nun hat uns der Gerichtsvogt
einen Zahlungsbefehl gebracht wegen einer großen Apothekerrechnung,
und wenn wir die nicht ganz bald bezahlt haben, sollen wir ausgepfändet
werden. Und der Doktor kommt auch noch. Lieber peil'ger Thrist,
nun wissen wir uns ganz und gar keinen Rat; denn der Bater verdient
im Winter nur knapp sieben Groschen, und der Lohn ist, wie die Mutter
sagt, kaum hinreichend für 5alz und Brot; denn alles ist teuer, und der
Scheffel frucht kostet zwei Taler. Da müssen wir ganz klein anbeißen,
manche Woche mit einem halben Brote hinkommen, manchmal haben
wir gar keins im pause. Wenn sonst das Brot knapp wurde, aßen
wir Uartoffeln, die stippten wir in 5>alz und Buchöl. Uartosseln haben
wir dies Zahr aber nur acht Sad gekriegt, die nehmen sich rasch weg.
Als unsre gute Pate gestern abend fortging, sagte sie: „Wenn nur
jemand mal an den peil'gen Thrist schriebe, daß er zur Weihnacht
einmal mit einem recht großen Tacke voll in dies Pünschen käme."
Und da ist mir auf einmal der Einfall gekommen, ich brächte das
schreiben wohl zuwege. Und sieh, nun tu' ich's schon. Ach, lieber
Peil'ger Thrist, ich weiß es wohl noch, daß Du in der vorigen Weihnacht
den reichen Leuten so viel gebracht hast und uns gar nicht ein bißchen;
darum schreibe ich Dir einmal. Denn Du hast's gewiß nicht gewußt,
und ich bitte Dich tausendmal und bring uns diesmal auch so viel, daß
die Mutter nicht mehr so weint. Denn alle Sterne am Pimmel und
alle Schneeflocken, die auf die Erde fallen, kannst Du zu Geld machen,
wenn Du willst. G Du kannst's, lieber peil'ger Thrist, und decke unsern:
armen Ludwig einen Tisch, daß er denkt, er sei im schloß. Ich bete
alle stunden, dann hörst Du gewiß aus meinen Brief. Lange bleibst
Du nicht mehr aus. Die Schneeflocken fallen schon immer zu. Ach, ich
freue mich! Und nun sei auch tausendmal gegrüßt von
Deinem Thristinchen Lindemann.
Und eins bitt' ich noch: Bergiß auch unsre gute Friedesinchenpate
nicht und — ja, das hätte ich müssen schon mit obenan schreiben: denk
auch an Fritz Bonder und seine kranke Mutter und an seine kleinen
Schwestern. Allen bring was, krieg' ich selber auch nur ganz wenig.
Und es grüßt Dich auch noch einmal in treuer Liebe
Thristinchen Lindemann.
Heinrich Sohnrey.