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Auf dem Markte steht die Bildsäule des berühmten Thorners
Nikolaus Kopernikus, deren lateinische Inschrift in deutscher Sprache
bedeutet: „Der die Erde sich bewegen, Sonne und Himmel stillstehen
hieß." Das Postament ist geziert durch einen fließenden Brunnen mit
Ruhebänken.
Auf den Bänken sitzen polnische Floßknechte, bei uns in Westpreußen
Flissaken oder Flissen genannt, lange Roggenbrote in den Händen, von
denen sie sich Stücke abschneiden oder abbrechen. Ihre Hauptkleidungs¬
stücke sind Hemd und Hose aus grobem Leinen, das Hemd aber
tragen sie über den Hosen. Von einer Fußbekleidung ist bei ihnen nicht
die Rede.
Über den Unterkleidern haben sie noch Jacke oder etwas Ähn¬
liches, das sie sich im Kleidergeschäft am Rathause erstanden haben.
Einer von ihnen hat einen alten russischen Militärmantel umgeschlagen,
ein anderer trägt den ausgedienten Uniformrock eines sächsischen Jägers.
Einer, dessen Kleidung ganz zerlumpt ist, hat auf dem Kopfe einen
funkelnagelneuen Filzhut. Filzhüte haben die anderen auch auf, aber
ganz alte und abgebrauchte. Darunter sehen die gutmütigen Gesichter
hervor mit dem breiten Munde und den struppigen blonden Schnurr¬
bärten darüber.
Reben den Flissen sitzt ein jüdischer Handelsmann aus Polen mit
einem langen schwarzen Bart und spricht mit einem von ihnen. Er hat
einen langen schwarzen Überrock, den Kaftan, an und auf dem Kopfe
eine schwarze runde Mütze ohne Schirm. Solcher Männer sind mehr
zu sehen auf den Straßen. Sie stehen in Gruppen beisammen oder
sitzen auf einer Bank vor der Haustür plaudernd und rauchend.
Von den alten Kirchen Thorns sind die bedeutendsten die Marien¬
kirche am Markt, die in ihrem Inneren viel Wertvolles birgt, die Io-
hanniskirche, die nicht sehr weit davon steht, und die Iakobskirche mit
wundervollem Chorgiebel in der Neustadt. Was für einen mächtigen
Eindruck machen diese von der Zeit dunkel gefärbten ungeheueren Massen
von Backstein in ihren einfachen Formen! Das Düstere des äußeren
Anblicks wird bei der Iohanniskirche durch eine freundliche Einfassung
gemildert. Das Gebäude ist umgeben von einer Mauer, die so hoch
ist, daß ein hochgewachsener Mann eben hinüberzublicken vermag.
Zwischen der Mauer und der Kirche ist ein Raum, der zu gärtnerischen
Anlagen benutzt und ganz mit hübschen Ziersträuchern und kletternden
Gewächsen bepflanzt ist.