9. Das beschreibende Gedicht bezweckt die Schilderung des im Raume
Befindlichen; es ist ein schönes poetisches Gemälde, zu welchem die Natur
den Stoff liefert.
Beisp.: S. 236: „Das Haus in der Heide."
10. Die Gnome [= „Meinungs-", Sinn-, Reim-, Denkspruch) ist die
kürzeste Form, um einen sinnreichen Gedanken, eine Weisheit auszusprechen.
Sie steht entweder allein oder ist in größere Dichtungen als „Sentenz",
als „schöne Stelle" oder als „geflügeltes Wort" verwoben.
Beisp.: S. 159: Sprüche von Goethe.
11. Das Epigramm (Aufschrift) ist ein kurzer, sinnreicher Ausspruch
von überraschender Wirkung. — Bei den Alten hieß jede Aufschrift, die
eine schöne Form annahm, Epigramm. Nach Lessing soll jedes Epigramm
zwei Teile enthalten: die Erwartung und den unerwarteten Aufschluß.
Beisp.: Die Leuten von Goethe und Schiller.
II. Lz-lsche Dichtungen.
Epos heißt Wort, Sage, Erzählung. Die epische Poesie stellt dem¬
nach Begebenheiten oder Ereignisse als vergangen dar. Eine vergangene
Handlung hat aber bereits durch die Zeit einen beruhigenden Abschluß er¬
langt; daher steht der epische Dichter rächt in der Erregtheit des Augen¬
blicks, sondern hinter und über seinem Stoff, den er uns mit voller Über¬
legung und Klarheit so darstellt, wie er ihm selbst erscheint. Der Stoff
kann historisch, sagenhaft oder frei erfunden sein, doch muß er fesseln
und stets das Gepräge der Wahrheit haben.
Zu der epischen Poesie gehören:
1. Die Fabel, die Darstellung eines allgemeinen Satzes — einer
Weisheits- oder Klugheitsrcgel — durch eine erdichtete, als vergangen er¬
scheinende Handlung, in der Tiere, Pflanzen und leblose Dinge den Menschen
darstellen.
Beisp.: Fabeln von Lessing.
2. Die Allegorie, Parabel und Paramythie. Über die Allegorie
vergl. S. 471. Die Parabel ist ein der Fabel verwandtes allegorisches
Gedicht, das einen allgemeinen Satz durch eine erdichtete Erzählung ver¬
anschaulicht, aber nicht an Tieren, sondern am Menschen selbst. Sie will
uns eine höhere, sittliche oder religiöse Lehre geben, wie sie Christus un-
vergleichbar schön in seinen „Gleichnissen" bietet.
Beisp.: S. 143: „Die drei Ringe".
Die Paramythie (eine Schöpfung Herders) ist der Parabel ähnlich, doch
nimmt sie vorzugsweise das religiöse Gebiet in Anspruch.
Beisp.: S. 94: „Chidher".
3. Die poetische Erzählung ist ein kurzes episches Gedicht — ernsten
oder komischen Charakters —, welches eine wichtige kleinere Begebenheit
enthält, die dem wirklichen Sehen entspricht.
Beisp.: „Schwäbische Kunde".