, 117
89. Im Maien.
Julus Rodenberg.
1. Nun bricht aus allen Zweigen
Das maienfrische Grün,
Die ersten Lerchen steigen,
Die ersten Veilchen blüh'n;
Und golden liegen Tal und Höh'n:
O Welt, du bist so wunderschön
Im Maien!
2. Und wie die Knospen springen,
Da regt sich's allzumal;
Die muntern Vögel singen,
Die Quelle rauscht ins Tal;
Und freudig schallt das Lustgetön:
O Welt, du bist so wunderschön
Im Maien!
3. Wie sich die Bäume wiegen
Im lieben Sonnenschein!
Wie hoch die Vögel fliegen!
Ich möchte hinterdrein,
Möcht' jubeln über Tal und Höh'n:
O Welt, du bist so wunderschön
Im Maien!
90. Wie der Wald erwacht.
Friedrich von Tschudi.
Schon ehe die rosigen Morgenwölkchen das Nahen der Sonne
verkünden, beginnt es im Walde sich zu regen. Da erwacht die
Amsel, schüttelt den Tau von ihrem schwarzglänzenden Gefieder,
wetzt sich den Schnabel am Zweige und hüpft höher hinauf am
Ahornbaum. Sie wundert sich fast, daß der Wald noch fortschläft.
Zweimal, dreimal ruft sie über die Bäume hin. Dann flötet sie mit
Macht und Feuer ihre herrlichen Strophen, bald munter, bald in
tiefen, klagenden Lauten. Rasch erwacht nun im ganzen Walde das
Leben der Tiere; zuerst nach der Amsel hören wir häufig den
Lockruf des Kuckucks.
Dünne, bläuliche Rauchsäulen erheben sich fern in der Tiefe
aus den Kaminen der Dörfer; von den Gehöften bellen hin und
wieder die Hunde; eine Kuhglocke ertönt; alle Vögel erheben sich
aus ihren dunkeln Büschen, von der Erde, aus den Felsen; alles
eilt in die Höhe hinauf, den Tag und die Sonne zu sehen und die
gute Mutter Natur zu loben, die ihnen wieder das freudige Licht
gesandt hat. Wie manches kleine, arme Vöglein lebt fröhlich auf,
denn es hat eine bange und angstvolle Nacht hinter sich! Es saß