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121. Die Hanselmannshöhlen.
Adolf Becker.
In uralten Zeiten lebten mit den Menschen seltsame Wesen auf
Erden. Auf hohen Bergen hausten ungefüge Riesen, in Felshöhlen
wohnten verzauberte Jungfrauen, die von feuerschnaubenden Drachen
bewacht wurden. Drunten im Gestein schmiedete das kunstfertige Volk
der Zwerge edles Gewaffen und köstliches Geschmeide. Aus den Fluten
der Lahn hob die Wasserfrau ihr totenbleiches Antlitz mit den dunkeln,
sehnsüchtigen Augen, und ihr langes Haar flutete und schimmerte well-
auf, wellab. An der mächtigen Felswand bei Ems wucherte dichtes
Farnkraut und wiegte sich im Winde wie ein Palmenwald. Im Schatten
der Farne huschten geschäftig die Hanselmännchen hin und her. Tief im
Berge gruben sie Gold, und aus weit größeren Tiefen führten sie heil¬
kräftige Quellen zutage. Den Menschen waren sie wohlgesinnt, und die
Bewohner des Tales störten die Kleinen nicht. Die Bergleute stellten
ihnen tagtäglich einen Topf vor die Höhlen, der mit Speise gefüllt war,
und alljährlich einmal schenkten sie den Berggeistern ein rotes Röcklein.
Diese zeigten sich dankbar und erschlossen den Bergleuten die silber¬
haltigen Erze.
Als in späterer Zeit die Zahl der Menschen zunahm und neu¬
gierige Blicke das heimliche Schalten und Walten der Kleinen störten,
gruben sie tiefe Gänge in den Berg und zogen davon. Wohin sie ge¬
wandert sind, weiß niemand zu sagen. Aber die Löcher im Berge sind
geblieben, und die Heilquellen fließen heute noch.
122. Der Westerwälder Schmied.
Adolf Becker.
In alten Zeiten lebte auf dem Westerwalde ein Schmied, der wegen
seiner Geschicklichkeit weit und breit berühmt war. Bei Spiel und Trunk
verpraßte er jedoch sein Hab und Gut und war bald ärmer als eine
Kirchenmaus. Nun wäre er gern wieder zu Vermögen gekommen, aber
ohne Schweiß und Fleiß. Drum ging er in mitternächtiger Stunde hinaus
auf den Kirchhof, zog auf dem mondhellen Mittelweg einen Kreis, stellte
sich hinein und beschwor den Teufel mit kühnem Zauberspruch. Kaum
war sein letztes Wort verklungen, so stand der Böse mit lauerndem Blicke
vor ihm. „Meine Seele soll dir gehören," rief furchtlos der Schmied,