Full text: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

darfst?“ „Ich bin der Tod,“ erwiderte der andere, „mir widersteht 
niemand, und auch du mußt meinen Befehlen gehorchen.“ Der 
Riese aber weigerte sich und fing an, mit dem Tode zu ringen. 
Es war ein langer, heftiger Kampf; zuletzt aber behielt der Riese 
die Oberhand und schlug den Tod mit seiner Faust nieder, daß er 
neben einem Steine zusammensank. Der Riese ging seiner Wege, 
und der Tod lag da besiegt und war so kraftlos, daß er sich nicht 
wieder erheben konnte. „Was soll daraus werden,“ sprach er, „wenn 
ich da in der Ecke liegen bleibe? Es stirbt niemand mehr auf 
Erden, und sie wird so angefüllt werden, daß sie nicht mehr Platz 
haben, nebeneinander zu stehen.“ Indem kam ein junger Mensch 
des Weges, frisch und gesund, sang ein Lied und warf seine Augen 
hin und her. Als er den halb Ohnmächtigen erblickte, ging er 
mitleidig heran, richtete ihn auf, flößte ihm aus seiner Flasche einen 
stärkenden Trank ein und wartete, bis er wieder zu Kräften kam. 
„Weißt du auch,“ fragte der Fremde, indem er sich aufrichtete, 
„wer ich bin, und wem du wieder auf die Beine geholfen hast?“ 
„Nein,“ antwortete der Jüngling, „ich kenne dich nicht!“ „Ich bin 
der Tod,“ sprach er, „ich verschone niemand und kann auch mit dir 
keine Ausnahme machen. Damit du aber siehst, daß ich dankbar 
bin, so verspreche ich dir, daß ich dich nicht unversehens überfallen, 
sondern dir erst meine Boten senden will, bevor ich komme und 
dich abhole.“ „Wohlan,“ sprach der Jüngling, „immer ein Gewinn, 
daß ich weiß, wann du kommst, und so lange wenigstens sicher 
vor dir bin.“ Dann zog er weiter, war lustig und guter Dinge 
und lebte in den Tag hinein. 
Allein Jugend und Gesundheit hielten nicht lange aus, es kamen 
Krankheiten und Schmerzen, die ihn bei Tag plagten und ihm nachts 
die Ruhe wegnahmen. „Sterben werde ich nicht,“' sprach er zu 
sich selbst, „denn der Tod sendet erst seine Boten; ich wollte nur, 
die bösen Tage der Krankheit wären erst vorüber!“ Sobald er sich 
gesund fühlte, fing er wieder an, in Freuden zu leben. Da klopfte 
ihn eines Tages jemand auf die Schulter; er blickte sich um, und 
der Tod stand hinter ihm und sprach: „Folge mir, die Stunde deines 
Abschiedes von der Welt ist gekommen.“ „Wie,“ antwortete der 
Mensch, „willst du dein Wort brechen? Hast du mir nicht ver¬ 
sprochen, daß du mir, bevor du selbst kämest, deine Boten senden 
wolltest? Ich habe keinen gesehen.“ „Schweig,“ erwiderte der
	        
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