Object: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Kurze Charakteristik des geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens. 81 
§ 7. Kurse Charakteristik der Entwicklungstendenzen des geistigen, 
Wirtschaftlichen und sozialen Lebens. 
I. Das geistige Leben. 
In den Wandlungen, die sich etwa seit der Wende des dritten 
Jahrzehnts auf dem Gebiete des geistigen Lebens bemerkbar 
zu machen begannen, kündeten sich die Anfänge einer neuen Ent- 
Wicklungsstufe des Subjektivismus an, auf deren Grundlage die 
politischen Ideale der neuen Zeit ihrer Verwirklichung entgegen- 
reifen sollten. 
1. Während der romantische Subjektivismus durch das Überwiegen der 
gefühlsmäßigen Elemente des Seelenlebens und der Phantasietätigkeit, das vor 
allem der Entwicklung des religiösen Lebens und der ästhetischen Gebiete des 
Geisteslebens (Dichtkunst, bildende Künste) zugute gekommen war, sein charakte- 
ristisches Gepräge erhalten hatte, begannen etwa am Anfange der dreißiger 
Jahre die intellektuellen Kräfte mehr in den Vordergrund des geistigen Daseins 
zu treten. Es vollzog sich eine Wendung „vom Enthusiastischen zum Überlegten, 
vom Mystischen zum Rationalen", die sich schon in der mehr dem Objektiven 
zugewandten Entwicklung der Spätromantik angekündigt hatte; an die Stelle 
der romantischen Innerlichkeit trat ein mehr auf den äußeren Fortschritt ge- 
richtetet, nüchterner Realitätssinn. Dem Zeitalter der Romantik folgte die 
neue Kulturepoche des Realismus. 
2. Es entsprach der durch das Vorherrschen des Verstandesmäßigen 
gekennzeichneten seelischen Disposition der Zeiten des Realismus, daß sich die 
geistigen Interessen mehr als bisher dem Bereich des wissenschaftlichen und 
politifch-gemeinnützigen Denkens und Schaffens zuwandten. 
a. Die größte und zugleich folgenreichste Förderung erfuhren in dieser 
Zeit die naturwissenschaftlichen Disziplinen. 
a. Die Romantik war dem in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts 
erfolgten Aufschwünge der Naturwissenschaften nicht besonders förderlich ge¬ 
wesen; die Wissenschaft war in den Bann der Schellingschen Naturphilosophie 
geraten, deren geistreiche, ästhetisch - mystische Spekulationen die Freiheit der 
Forschung beeinträchtigten.1) 
ß. Erst mit der Emanzipation der Naturwissenschaft von der Naturphilosophie 
begann der gewaltige Fortschritt, der sich auf alle Zweige dieses dem realistischen 
I Denken so besonders naheliegenden Gebietes erstreckte; die überaus wichtigen 
Forschungsergebnisse in der Physik, der Chemie und der Biologie schufen geradezu 
die Basis der neuen materiellen Kultur, indem sie die Beherrschung der Natur 
durch den Menschen in einem bis dahin unerhörten Grade ermöglichten. 
y. Zwar muß dieser rapide Aufschwung der Naturwissenschaften, ebenso wie 
der des rationalistischen Zeitalters, als eine internationale Bewegung bezeichnet 
werden, aber die Namen deutscher Forscher (Gauß, Weber, Fraunhofer, Liebig, 
Robert Mayer, Helmholtz, Hertz, Höckel u. a.) werden in der Geschichte der 
Naturwissenschaften zu allen Zeiten einen Ehrenplatz behaupten. Auf der An- 
Wendung der exakten Wissenschaften auf die Praxis „beruht das neue große 
internationale Zeitalter der Technik, das. . . die Maschinen wie das chemische 
*) Schöllings Kosmologie gipfelte in dem Gedanken, daß das Naturleben ein 
großer Organismus sei, ein Stufenreich von Bildungen, dessen Ziel in der Entwicklung 
der bewußten Intelligenz zu suchen wäre. 
Jahn, Zur deutschen Geschichte. III. Teil. 6
	        
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