Full text: [Teil 2 = Kl. 6 u. 5] (Teil 2 = Kl. 6 u. 5)

er auf diesen ober jenen Posten, ans einen fetten oder mageren Platz 
gestellt werden sollte. — An Ostern, an Martini und am heiligen Abend 
kam die Bäckerin, die keine Kinder hatte, immer, einen großen Korb 
unter dem Arme, zu den Nachbarsleuten hinüber und teilte unter die 
Paten aus, was ihr der Hase oder der gute Märtel oder gar das Christ¬ 
kindlein selbst unter die schneeweiße Serviette gelegt hatte. — Je mehr 
sich die Kindlein über die reichen Spenden freuten, desto näher rückten 
sich die Herzen der beiden Weiber, und man brauchte keine Zigeunerin 
zu sein, um aus dem Satz in ihren Kasfeeschalen zu prophezeien, daß sie 
einander immer gut bleiben würden. 
Aber ihre Männer hatten ein jeglicher einen Hund, der Gerber als 
Jagdliebhaber einen großen braunen Feldmann und der Bäcker einen 
kleinen schneeweißen Mordax. Beide meinten die besten und schönsten 
Tiere in ihrem Geschlecht zu haben. Und da geschah es denn eines Tages, 
daß Mordax ein Kalbsknöchlein gegen den Feldmann behauptete. Denn 
er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht gut sei, einem großen Herrn 
etwas abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, und ehe sich der 
Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hanse erheben konnte, lag sein 
Hündlein mit zermalmten Genick vor ihm, und der Feldmann lies mit 
dem eroberten Knochen und mit eingezogenem Schweife davon. Sehr er¬ 
grimmt und entrüstet warf der Herr des Ermordeten dem Raubmörder 
einen gewaltigen Stein nach. Aber was hals's? Die Handgranate flog 
nicht dem Hunde an den Kops, sondern dessen Besitzer durch das Fenster 
mitten aus den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las, und machte in 
den schönsten Artikel ein Loch. Ohne zu fragen, woher der Schuß ge¬ 
kommen sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel aus nnb sing 
au zu schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und mit den aus¬ 
gestülpten Hemdärmeln blieb nichts schuldig, Kinder und Leute liefen zu¬ 
sammen und — hätte ich ihn nur sehen können! — Satan stand gewiß 
in einer Ecke der Gasse und blies mit vollen Backen in das Feuer. Der 
Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, aber nur um seinen Nachbar bei 
Gericht zu belangen. Die Sonne ging über dem Zorne der beiden Männer 
unter, und den Tag daraus wurden sie vor Gericht geladen. Der Gerber- 
würde verurteilt, den totgebissenen Mordax mit einem Reichstaler zu 
büßen, da doch, wie er sich als Jagdliebhaber ausdrückte, der kleine 
Schäker nicht einen Groschen wert gewesen sei. Der Bäcker mußte für 
den zertrümmerten Fensterflügel und das Loch in der Zeitung nicht viel 
weniger bezahlen und sich mit seinem Widerpart in die angelaufenen 
Gerichtskosten teilen. 
Von nun an war zwischen den beiden - Familien eine große Kluft 
befestigt. Hinüber und herüber über die Gasse flog kein freundliches 
Wort mehr. Ging die Gerberin links zur Kirche, so nahm die Nach¬ 
barin ihren Weg rechts; saß der Bäcker im Posthaus außen in der Stube 
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