Full text: Neuntes Schuljahr (B)

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keinem, dem die Vettern des Nußknackers der Abends vorm Eindämmern 
vom Boden und von den Wänden herab schon Gesichter geschnitten hatten. 
Bei Nacht gipfelte diese Tätigkeit meiner gärenden Phantasie in einem 
Traum, der so ungeheuerlich war und einen solchen Eindruck in mir zurück¬ 
ließ, daß er siebenmal hintereinander wiederkehrte. Mir war, als hätte der 
liebe Gott, von dem ich schon so manches gehört hatte, zwischen Himmel 
und Erde ein Seil ausgespannt, mich hineingesetzt und sich daneben gestellt, 
um mich zu schaukeln. Nun flog ich denn ohne Rast und Aufenthalt in 
schwindelerregender Eile hinauf und hinunter; jetzt war ich hoch in den 
Wolken, die Haare flatterten mir im Winde, ich hielt mich krampfhaft fest 
und schloß die Augen; jetzt war ich dem Boden wieder so nah, daß ich den 
gelben Sand, sowie die kleinen, roten und weißen Steinchen deutlich er¬ 
blicken, ja mit den Fußspitzen erreichen konnte. Dann wollte ich mich 
herauswerfen, aber das kostete doch einen Entschluß, und bevor es mir ge¬ 
lang, ging's wieder in die Höhe, und mir blieb nichts übrig, als abermals 
ins Seil zu greifen, um nur nicht zu stürzen und zerschmettert zu werden. 
Die Woche, in welche dieser Traum fällt, war vielleicht die entsetzlichste 
meiner Kindheit; denn die Erinnerung an ihn verließ mich den ganzen Tag 
nicht, und da ich, sowie ich trotz meines Sträubens zu Bett gebracht wurde, 
die Angst vor seiner Wiederkehr gleich mit hinein, ja unmittelbar mit in 
den Schlaf hinübernahm, so war es kein Wunder, daß er sich auch immer 
wieder einstellte. 
Friedrich Hebbel. 
3. Gute Nacht. 
t- wie Glockenklang vom Meeresgrunde 
ein wort durch meine Seele zieht, 
so wehmutsvoll wie Abendstimmen, 
so mild als wie ein Schlummerlied. 
Ls weht mir zu auf allen wegen, 
im Sturmgebraus, im Säuselwind, 
und selbst im Traume klingt es wieder: 
Gute Nacht, Mutter! — Gute Nacht, 
Kind! 
3. Und saß der Jüngling bei den Büchern, 
ob noch so spät sein Blick auch glitt 
von Blatt zu Blatt hin, eifrig forschend, 
ich hörte doch den leisen Tritt, 
das Lauschen an der Türe hört' ich, 
ich wußte, wer da sorgt und sinnt; 
hinüber und herüber klang es: 
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, 
Rind!" 
2. wenn nach des Tages muntern Spielen 
der Rnabe müd' zur Ruhe ging, 
nach manchem Drohen erst und Bitten, 
ob auch der Schlaf am Auge hing, 
dann rief ich's von der letzten Stiege 
hinunter noch einmal geschwind, 
und fröhlich kam die Antwort wieder — 
,/Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, 
Rind!" 
Dann kam die Zeit, da ich gesessen 
an deinem Bett, wie lang, wie oft! 
hielt deine bleiche bsand umschlungen 
und hab' verzagend noch gehofft; 
sah dir ins müde, liebe Auge: 
Gh, komm doch, Schlaf, erquickend lind! 
Lr kam; — zum letzten Male klang es: 
„Gute Nacht, Mutter!" — „Gute Nacht, 
Rind!"
	        
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