Full text: Neuntes Schuljahr (B)

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„Bruck meldete kolossalen Zudrang von Feuerwehrleuten; der Zug 
muß geteilt werden, der von Triest Nr. 2 wird dazwischengelegt.“ 
Eben schlug die Uhr 3/^5. Draußen stand eine große Volksmenge 
und begaffte die kaiserlichen Salonwagen; auf dem Bahnsteig ,wurlte‘ 
es schon wieder, der zweite Lokalzug soll abgehen! Plötzlich wich 
alles zur Seite; Seine Majestät kam im Jagdgewand heran in direkter 
Richtung auf den Stationsvorstand, der stramm grüßend vor dem 
Kaiser stehen blieb. Scharf klang die kaiserliche Frage: „Kann ich 
jetzt fahren?“ 
Und ebenso bestimmt lautete die dienstliche Antwort: „Nein, 
Majestät!“ 
Unwillig drehte sich der Monarch um und kehrte zu seinem Ge¬ 
folge zurück. 
„Lokalzug ab Richtung Wien, Güterzug ab Bruck!“ 
Die elektrische Glocke bimmelte; das Signal eines von Süden kom¬ 
menden Zuges war da; der letzte Vergnügungszug war ab Wien über 
Gloggnitz zur Höhe heraufgekeucht und brachte die Ausflügler, welche 
den Sonntag Abend und die Nacht auf dem Semmering verbringen 
wollen. Alles grüßte ehrfurchtsvoll und doch mit sichtlicher Herzlich¬ 
keit den Kaiser, der gleich andern Sterblichen auf den Abgang des 
Zuges warten mußte. 
Wohl dankte Majestät freundlich; aber über seinem Antlitz lag 
ein Schatten des Mißmuts, eines sichtbaren Ärgers. 
„Herr Vorstand, der Wechselwärter am Spitaler Ausfahrtswechsel 
ist unwohl geworden.“ — 
„Soll seine Frau Dienst tun, Mayer, kontrollieren Sie den Wechsel; 
ich habe keine Aushilfe und augenblicklich keine Zeit.“ 
4. Die Stationsuhr schlug die fünfte Stunde. Jetzt schien die 
Geduld des Kaisers erschöpft; begleitet von dem ganzen Gefolge ging 
Majestät nun auf den fortwährend Befehl gebenden Vorstand zu; der 
Kaiser fragte mit schrill klingender Stimme, die die kaiserliche Un¬ 
gnade wetterleuchtete: „Wo ist mein Zug? Lassen Sie sofort ab¬ 
fahren !“ 
„Majestät halten zu Gnaden, der Hofzug bleibt hier bis Punkt 
5 Uhr 20.“ 
„Das ist stark!“ murmelte der Kaiser und wandte sich zu seinen 
Begleitern: „Meine Herren, wir sind hier anscheinend willenlos ge¬ 
worden und müssen warten, bis es jenem Herrn gefällig ist, uns weiter¬ 
zubefördern.“ 
Endlich rückte der Zeiger vor, 5 Uhr 15 schlug die Uhr. 
„Hofzug vorfahren! Schlag aufmachen!“ 
Jetzt ging der Vorstand auf Seine Majestät zu in strammster
	        
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