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getan, was was Schreckliches ist. Mache Dich also somit auf die Wander¬
schaft und komme eilends hierher, wo wir in großer Not Deiner erwarten.
Sonsten ist alles wie sonst; aber es ist nicht viel Pläsir mehr in der
Welt. Es waren ganz andere Zeiten, als ich und Deine Mutter noch
solch jung Volk waren wie Du anjetzo, und Dein Vater auch ein jung
Blut um Deine Mutter freite, welches mir ist wie heute und kann noch
nicht daran glauben, wenn ich bedenke, daß der Anton schon so lange tot
ist, und wenn ich die Christine, will sagen, Deine Mutter, ansehe, wie
sie daliegt.
Komme also schnell und behalte bis dahin in gutem Gedenken Deinen
geliebten Oheim und Paten aviT - .. u
a ^ Niklas Grunebaum,
Schuhmachermeister.
— Als Mutter und Sohn allein waren, sagte die Mutter: ,,Du mußt
es mir vergeben, Hans, daß ich dich von deiner Arbeit hab' abrufen
lassen; aber ich hatte ein solch großes Sehnen nach dir, daß es nicht
anders ging. Du bist immer mein Trost gewesen, nun mußt du es auch
jetzt sein. Ich habe ein so groß gewaltig Verlangen nach dir gehabt!"-
Neben dem Lager der sterbenden Mutter bereitete er seinen Arbeits¬
tisch ; da saß er und schrieb, indem er zugleich den Schlummer der Kranken
bewachte. — Es war ein sehr strenger Winter; aber zu seiner Zeit schmolz
der Schnee. Hans Unwirsch vollendete seine Arbeiten und legte eines
Abends die Feder nieder, trat leise zu dem Bett seiner Mutter und
flüsterte, indem er sich niederbeugte und sie küßte: ,,Liebe Mutter, ich
hoffe, das ist gelungen!"
Da zog die Mutter mit den beiden kranken Händen das Haupt des
Sohnes zu sich hernieder und küßte ihn ebenfalls. Dann schob sie ihn
sanft von sich und faltete die Hände. Sie bewegte die Lippen; aber Hans
konnte nicht alles verstehen, was sie sagte. Nur die letzten Worte vernahm
er: ,,Wir haben es fertig gebracht, Anton! Ich kann nun zu dir
kommen!"
Im Anfang des neuen Frühlings kam der Sonntag, an welchem
Hans seine Prüfungspredigt halten sollte. Es war ein Tag, an welchem
die Sonne wieder schien. Ein Glas mit Schneeglöckchen stand neben dem
Bette der Kranken, und feierlicher wie heute hatten die Kirchenglocken
nie geklungen. Im schwarzen Chorrocke beugte sich der Sohn über die
Mutter, und sie legte ihm die Hand auf das junge Haupt und sah ihn
lächelnd und mit glänzenden Augen an. Tief, tief blickte Johannes Un¬
wirsch in diese Augen, die mehr sagten, als hunderttausend Worte ge¬
sagt haben würden. Dann ging er, und die Base und der Oheim folgten
ihm. Die Mutter wollte es so, sie wollte allein sein.
Da lag sie still und hatte keine Schmerzen mehr. In Gedanken
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ver-