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Mannes zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe und wir
so miteinander eins sind, daß der Wille des einen auch der Wille des
andern ist, wird es mir leicht, dies glückliche Einverständnis, welches mit
den Jahren inniger geworden ist, zu erhalten. Mit einem Wort, er ge¬
fällt mir in allen Stücken, und ich gefalle ihm, und uns ist am wohlsten,
wenn wir zusammen sind. Verzeihen Sie, lieber Vater, daß ich dies
mit einer gewissen Ruhmredigkeit sage; es liegt darin der kunstlose Aus¬
druck meines Glückes, welches keinem auf der Welt wärmer am Herzen
liegt, als Ihnen, bester, zärtlicher Vater! Gegen andre Menschen, auch
das habe ich von dem Könige gelernt, mag ich davon nicht sprechen;
es ist genug, daß wir es wissen.
82. Brandenburgisches Erntelied.
(1810.)
(. Die bjalm' und Ähren winken uns reich und mild,
die hellen Sensen blinken, die Garbe schwillt.
2. Da wollen wir beginnen den Srntesang.
Ach, aber mitten innen schallt Glockenklang!
5. Die Trauerglocke läutet vom Dorfe her.
wir wissen, was es deutet: Sie ist nicht mehr.
Zwei Augen ruhn im Grabe, so fromm und blau,
und auf die Gottesgabe fällt Tränentau.
Fr. de la Motte-Fouquö.
83. Stein als Reformator.
1. Ernst Moritz Arndt, der dem Freiherrn von Stein ein besondrer
Freund war, hat ihn einmal „unsern politischen Luther" geheißen. Da¬
mit wollte er sagen, gleichwie Doktor Luther einst der halbtoten Kirche
aus Gottes Gnade und Wort frische Lebenskraft eingehaucht habe, also
habe auch Stein unserm todkranken Vaterlande getan. Das ist gewiß
nicht unverständig geredet. Denn wenn auch Doktor Luthers Werk in
vielen Stücken weit über Steins Werk hinausgeht, sintemal es uns zur
Seligkeit helfen will, so ist doch in einem Stück dem Stein fast noch
Größeres gelungen. Er hat nämlich zu seiner Reformation eigentlich nur
ein einziges Jahr gehabt und in dieser kurzen Spanne den ganzen Staat
in das neue Geleise herumgelenkt, darin er noch jetzt fährt. Davon wäre
sehr vieles zu sagen, wir können's hier aber nur kurz machen.
Wie ein Leib unterschiedliche Glieder und jegliches Glied seine eignen
Geschäfte hat, so hat auch ein Volk unterschiedliche Stände und jeder
Stand seinen eignen Beruf. Die Füße, darauf das Ganze breit und
sicher gestellt ist, das ist der Bauernstand, der den Acker besäet und erntet.
Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. Teil III. 12