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Werratal ein. Mittelernten kommen wohl alle drei bis vier, Mißernten
oft zwei bis drei Jahre hintereinander vor. Ein reiches Obstjahr hilft
der Bevölkerung auf lange und steigert die Lebenslust schier zur Ausge¬
lassenheit. Das Treffurter Vogelschießen ist in solchen Jahren ein Zeugnis
dafür. Wenn Arbeit, Geld und Brot auf den Bäumen wachsen, dann
ist Jubel aus den Bergen und Freude in den Hütten.
2. In der Blütezeit prangt das Tal und seine Hänge im Braut-
schmucke. Weiße und rötliche Blumenwolken hängen an allen Bergen,
und Blütendüfte erfüllen das Tal. Wie schwärmenden Bienen begegnet
man Spaziergängern auf allen Wegen. Die Blicke sind zu den Bäumen
erhoben und hallen Musterung, ob sich die Kirschen glücklich „ausschälen",
d. h. Früchte ansehen. Aber wenn die Temperatur sinkt, wenn der schnei¬
dende Ost durch die Vlütenmeere fegt, wenn ein Reif die Hoffnungen ge¬
knickt zu Boden wirft, — dann angstvolle Augen, bange Reden, trostlose
Gruppen!
3. Der Obsthandel beginnt schon, wenn zwischen den Blättern die
grünen Früchte sichtbar werden und erreicht den Höhepunkt, wenn die
Sonne sie rötlich anhaucht. Früh bis spät ein Rennen und Laufen, Fordern
und Bieten, Feilschen und Kaufen!
Und funkeln nun die Kirschen wie Blutstropfen aus dem grünen
Vlättermeere, da geht die Arbeit und die Freude an. Nachts auf der
Wacht in der Strohhütte, tags zur Ernte auf dem Baum! Mit flinken
Fingern füllen die Pflücker die Körbe. Mit den Vögeln um die Wette
singt's und klingt's auf allen Höhen. Der Abend dunkelt. Der letzte
Sonnenhauch erlischt auf den Bergfirnen. Still wird's oben, laut im Tale.
4. Die Stadt ist von einem Ringe schmuckloser, aber zierlicher Garten¬
häuser umgürtet. Sind es Gartenhäuschen? Die Türen stehen offen,
Feuerschein loht durch die Nacht; dunkle Schatten wandern hin und her;
ein aromatisch-brenzlicher Geruch füllt die Luft.
Was bedeutet das?
Das Leben bei der Obstdarre! Jene 20 bis 30 Häuschen sind
Welköfen oder Obstdarren. Im Ofen lodern die Flammen, in der Trocken¬
kammer schmoren, rösten und welken die Kirschen — später Pflaumen usw.
— auf Horden von Weidengeflecht. Der Raum ist fest geschlossen. Ein
feuchter, heißer Dunst schlägt uns beim Öffnen entgegen. Mit der größten
Achtsamkeit muß das Feuer geschürt werden. Durch jähe Glut sind die
edeln Früchte leichtlich zu leeren, aufgeblähten Tüten gebrannt. Ein Wächter
nimmt die ganze Nacht seines Dienstes wahr. Nur stundenweis bettet er
sich auf Stroh, oft gar nicht.
Freunde gesellen sich zusammen, erzählen einander, singen, lachen,
scherzen, verspeisen die gebratenen Kartoffeln oder trinken den Kaffee,
welchen mildherzige Mädchen gekocht haben und nun ausbieten. In kurzen