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und Pappeln bepflanzt. So glich das Oderbruch bald einem großen,
schönen Garten. Und noch heute gewährt dasselbe, besonders zur Pfingst-
zeit, einen herrlichen, paradiesischen Anblick, wenn saftiges, frisches Grün
Felder und Wiesen bekleidet, wenn die saubern Dörfchen in einen weißen,
würzigen Blütenschleier gehüllt sind.
3. Fast wäre diese herrliche Errungenschaft wieder in ihren Urzustand
zurückgesunken, wenn nicht noch rechtzeitig Hilfe gebracht worden wäre.
Die aufgeschütteten Deiche erwiesen sich im Laufe der Zeit als zu
schwach, so daß sie nicht selten vom wilden Oderstrom durchbrochen wurden.
Wieviel Not und Trübsal brachte doch der Dammbruch vom 16. März 1838
über das Bruch! Da die Oder unterhalb Schwedt immer mehr versandete,
so hatte das Bruch viel unter dem Dräng- und Stauwasser derselben zu
leiden. Dieses fand seinen Eintritt durch das Wehr und die Schleusen
bei Hohensaathen. Hatte der Landmann im Schweiße seines Angesichts
seinen Acker bestellt und sah erwartungsvoll der baldigen Ernte entgegen,
so kam die Sommerflut und vernichtete alles. Diesem Übelstande konnte
nur durch Errichtung von Schöpfwerken abgeholfen werden. Die erste
derartige Anlage wurde am Nordrande der Insel Neuenhagen ausgeführt.
Da die Verhältnisse des Nieder-Oderbruches bis Altglietzen immer trost¬
loser wurden, so nahm sich schließlich die Staatsregierung der Sache an,
indem sie im Jahre 1895 ein großes Pumpwerk bei Neutornow — wohl
das größte in Deutschland — erbauen ließ. Ein 16 Km langer Deich von
Zäckerick bis Neutornow teilt das ganze Gebiet in einen großen Trocken¬
polder und einen kleinen Wiesenpolder, der ungefähr 600 ha umfaßt. Der
Trockenpolder enthält fast nur Ackerland und wird immer trocken gehalten.
Der Wiesenpolder enthält nur Wiesen, welche den ganzen Winter hindurch
mittelst einer Einlaßschleuse unter Wasser gesetzt werden. Dieses Niesel¬
wasser, welches viel Schlickmassen mit sich führt, befruchtet nicht nur die
Wiesen, sondern soll auch einen Gegendruck gegen das drückende Hoch¬
wasser der Oder ausüben. Sobald der Frühling in das Land zieht, wird
dieses Wasser bei Neutornow in die alte Oder gepumpt, und ein saftiger
Wiesenplan dehnt sich dort aus, wo noch vor wenigen Tagen der leichte
Nachen des friedlichen Fischers sich schaukelte.
4. So ist das Oderbruch abermals dem nassen Elemente abgerungen
worden. Hoffnungsvoll wieder kann der Oderbrucher seinen Samen auf
das Land streuen, um dann zur Zeit der Ernte eine hundertfältige Frucht
zu schneiden. Und froher als zuvor steigt seine Freundin, die Lerche,
jubilierend in den blauen Äther empor.
E. Breitkreutz-Alt-Glietzen.
Deutsches Lesebuch für Mittelschulen. Teil II.
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