Full text: Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr (Teil 2)

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152. Die IDeichselflößer. 
1. Am Morgen des 29. Juli bestiegen wir in Thorn den netten 
kleinen Raddampfer, die „Ente", und nun ging es stromauf, dem heiligen 
Rußland zu. 
Während wir so in bester Stimmung zwischen den schönen Ufern 
des breiten Stromes dahinglitten, gab es auch auf dem Wasser allerhand 
zu beobachten. Dazu gehörten besonders die zahlreichen polnischen und 
galizischen Flöße, die im Weichsellande Traften heißen. Ich will es ver¬ 
suchen, eine solche Traft zu beschreiben. Die Grundlage und das, was 
daran den kaufmännischen Wert darstellt, bilden aneinander gereihte Baum¬ 
stämme, gewöhnlich Nadelholzbäume; sie werden zusammengehalten durch 
ein paar mit langen und breitköpfigen Nägeln darauf geheftete dünnere 
Stämme. Diese Verbandhölzer heißen Kleisten oder Kleeste; das Ganze 
wird eine Tafel genannt. Die Tafeln wieder sind durch gewundenes 
Holz (Weeden) miteinander verbunden. Ihrer viele bilden in ihrer Ge¬ 
samtheit die Traft. Selbstverständlich sind die Tafeln so miteinander 
verknüpft, daß die Traft um vieles länger als breit ist. Am vorderen und 
am hinteren Ende der Traft liegen aus Stützen die sehr langen und schweren 
Ruder, die eigentlich Bäume sind. An jedem Ende befinden sich gewöhn¬ 
lich fünf Ruder. Jedes wird geführt von einem Floßknecht oder Flissen. 
Der Mann führt das Ruder stehend, hat aber, um sich einmal ausruhen 
zu können, ein Bänkchen, bestehend aus einem kurzen Pfahl mit einem 
darauf befestigten kleinen Brett. Wenn man die Leute bei der Arbeit 
sieht, erscheint es einem, als tauchten sie die gewaltigen Ruderbäume immer 
nur ganz gleichmäßig senkrecht ins Wasser ein; sie lenken aber damit doch 
das Floß, während die Hauptarbeit, die des Vorwärtsbringens, der Strom 
verrichtet. Gern tut er's vielleicht nicht; aber er tut's. Mitunter wird 
er doch einmal unwirsch und reißt trotz Kleisten und Weeden das ganze 
Tafelwerk auseinander. Das kann zu Ungelegenheiten Anlaß geben; denn 
wenn zugleich mehrere Traften zerrissen werden, kann niemand nachher 
mit voller Sicherheit mehr sagen, wem ein oder das andere Stück Holz 
gehört. 
2. Auf der Traft sind ein paar Strohhütten oder vielmehr kleine 
Strohdächer angebracht, unter die sich die Floßknechte verkriechen können, 
um annähernd trocken zu liegen. Denn auch wenn keine Niederschläge 
von oben kommen, ist es auf der Traft immer sehr naß. Das Wasser 
kommt auch von unten und überflutet beständig die Tafeln; daher ist hier 
und da bei den Strohhüttchen, die auch einen Unterbau haben, ein erhöhtes 
Plätzchen angelegt, auf dem man hocken kann, ohne nasse Füße zu bekommen, 
wenn man darauf überhaupt etwas gibt. Den Liebhabern der Kneipkur
	        
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