Full text: Viertes, fünftes und sechstes Schuljahr (Teil 2)

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betrachtet werden, in welchem viele Tausende von Gästen, große 
und kleine, verkehren und zehren. Mächtige Raubvögel sowie Reiher 
und schwarze Störche nisten in seinen Zweigen, die vielen kleinern 
Vögel gar nicht gerechnet. Seine Höhlen werden von unzähligem 
Getier bewohnt. Eulen, Spechte, Wiedehopfe, Dohlen, Stare, Meisen, 
Baumläufer und viele andre Vögel finden dort willkommene Schlupf¬ 
winkel. Von Insekten kennt man weit über tausend Arten, welche aus 
der Eiche ihre Nahrung ziehen. Sie hausen zwischen Stamm und 
Borke. Sie bohren im Holzwerke, saugen an Zweigen und Wurzeln, 
fressen an den Blättern, wühlen im Mulme oder naschen am aus¬ 
geschwitzten Safte. Über hundert Arten von Gallwespen legen ihre 
Eier an die Blätter oder die Rinde, um ihrer Nachkommenschaft eine 
gedeihliche Nahrung zuzuwenden. Ameisenkarawanen wandern tagaus, 
tagein hinauf und herab ihre Straßen; sie finden ihre Zehrung und 
kennen keine andre Welt. Unter den Hunderten von Käfern ernährt 
die Eiche die mächtigsten, welche in Deutschland vorkommen, den 
gewaltigen Hirschkäfer, den stolzen Eichenbock und den vornehmen 
Nashornkäfer, drei stattliche Gesellen. Unzählige Pflanzen schma¬ 
rotzen auf diesem gastfreien Baume, voran die Sagenreiche und mär¬ 
chenhafte Mistel, die unsern Vorfahren heilig war. Ja, so eine alte 
Eiche ist eine Welt für sich, bedeckt mit Wäldern und Wiesen der 
verschiedensten Moose und Flechten, in welchen allerlei zierliches 
Getier sich lustig macht. Alles saugt und zehrt an ihr, vom mächtigen, 
schüsselgroßen Feuerschwamme bis zum unendlich kleinen Pilzchen. 
Und danach schüttelt sie alljährlich den mächtigen Segen von Eicheln 
ins Gras, einer Menge von anderm Getier zu freudiger Nahrung. Trotz¬ 
dem blüht und grünt sie die Jahrhunderte hindurch und trägt ihr 
stolzes Haupt ungebeugt durch Sturm und Ungewitter. Das ist nur 
ein Baum, und dennoch ein unerschöpfliches Gebiet. 
Heinrich Seidel. 
193. Die Tollkirsche. 
1. An Waldrändern und auf frisch abgeholzten Plätzen, die mit 
kleinen Gebüschen, mit roten Weidenröschen und zahllosen Erdbeeren 
bedeckb sind, sproßt auch die Tollkirsche. 
Ihre länglichen Blätter fühlen sich weich an und sind mit klebrigen 
Drüsenhaaren bedeckt. Sie brechen in Büscheln aus den Wurzelstöcken 
hervor, die den Winter über im Boden ausgedauert haben. Aus der 
Mitte der Rosette, die sie bilden, erhebt sich allmählich der vielver¬ 
zweigte Stengel und bildet binnen wenigen Wochen eine Staude von
	        
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