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benden Glocke die Muse hervor und sprach den Epilog Goethes/ jene be¬
kannte Elegie im hohen Stil, eingegeben von inniger Liebe und hoch¬
herziger Anerkennung des mit ihm ringenden großen Dichtergeistes. „Von
seinem Grabe her stärkt uns der Anhauch seiner Kraft und erregt in
uns den lebhaften Drang, das, was er begonnen, mit Eifer und Liebe
fort- und immer fortzusetzen."
Nicht weniger schwer war das nächste Jahr, in welchem nach der
unglücklichen Schlacht bei Jena Weimar eingenommen und geplündert
wurde, obschon Goethes Haus auf ausdrücklichen Befehl verschont blieb.
Goethes Haltung in diesen Tagen war durchaus würdevoll, denn er er¬
schien nicht in der Audienz, welche Napoleon den Ministern bewilligt hatte.
Die Unterhaltungen, welche Goethe während des Erfurter Kongresses und
bald darauf in Weimar mit Napoleon hatte, machten indessen einen mäch¬
tigen Eindruck auf ihn. Noch ehe Napoleon Erfurt verließ, erteilte er
dem großen deutschen Dichter den Orden der Ehrenlegion.
Im Jahre 1810 ging Goethe an die Darstellung seines eigenen Lebens,
welche unter dem Titel Wahrheit undDichtung erschien, doch ist das
Werk nicht zum Abschluß gelangt. Da ihm die Theaterleitung mancherlei
Verdrießlichkeiten brachte, so legte er dieselbe im Jahre 1816 nieder,
wurde aber mit der Einführung der Verfassung noch in demselben Jahre
zum ersten Staatsminister ernannt. Im Jahre 1823 brachte ihn eine
schwere Krankheit an den Rand des Grabes, aber seine kräftige Natur
siegte. Seine Genesung wurde in Weimar und in der Ferne in rüh¬
render Weise gefeiert. Zu seiner Erholung ging er im Sommer regel¬
mäßig nach Marienbad. Nicht ohne Schmerz sah er am 22. März 1825
das Theater niederbrennen, in welchem er mit Schiller für die Hebung
der dramatischen Kunst gewirkt hatte. Doch sollten bald glücklichere Tage
folgen. Nachdem am 3. September 1825 das fünfzigjährige Regierungs¬
jubiläum des Großherzogs gefeiert worden, wurde auch am 7. November
der Tag festlich begangen, an welchem Goethe vor fünfzig Jahren nach
Weimar gekommen war. Bei dieser Gelegenheit erhielt der Dichter neue
Beweise der unwandelbaren Treue seines Fürsten; die ganze Bürgerschaft
Weimars und die umliegenden Städte gaben ihm ihre Verehrung kund.
Die Universität Jena machte ihn zum Ehrendoktor aller Fakultäten. Auch
später wurden ihm bei der Wiederkehr seines Geburtstages viele Huldi¬
gungen zu teil, wie z. B. der König Ludwig I. von Bayern im Jahre
1827 nach Weimar kam und ihm das Großkreuz der bayerischen Krone
persönlich überbrachte.
Im Jahre 1831 vollendete Goethe das großartigste seiner Werke, den
Faust, dessen erster Teil bereits im Jahre 1808 erschienen war. Hiermit
sah er sein eigentliches Tagewerk für abgeschlossen an. Die Lebenstage, die