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mein Vatter und mein Mütter.“ Mein Alter aber saß am Bett und
rechnete an den Fingern: „Eins, zwei, vier — acht. Acht Jahr, Ge¬
vatter Franzos! Warum habt Ihr damals meine zwölf nicht genommen?“
7. Die Briefe von unserm Wilhelm kamen nun immer ferner, und
auf einmal blieben sie ganz aus, und eines Tages kommt mein Alter
nach Haus, setzt sich an den Tisch, legt den Kopf auf beide Arme
und weint. Ich dachte, der Himmel fiel über mich — der und weinen!
„Der andere!“ stöhnte mein Alter in sich hinein, und ich fiel
in Ohnmacht zu Boden.
Da vor der großen Franzosenstadt Paris muß ein Berg sein —
ich kann den Namen nicht ordentlich aussprechen — von wo man
die Stadt ganz übersehen kann. Da schossen sie zum letztenmal
aufeinander, und da ist auch dem Wilhelm eine Kugel mitten durch
die Brust gegangen, wie der Kamerad schrieb, und ist er da begraben
mit vielen, vielen andern aus Deutschland.
8. Das ist meine Geschichte. Den Franzosen aber kurierten wir
aus, und mein Alter gab ihm einen Zehrpfennig und brachte ihn
an das Tor, wo der Weg nach Frankreich geht, den auch meine
Jungen gezogen waren, sah ihn da abhumpeln und kam wieder nach
Haus, murmelnd: „Nit raus, nit raus!“ Gott hab’ ihn selig, den
Mann; es war ein wunderlicher, dein Vater, Annchen.
Wilhelm Naabe.
274. Aus der Schlacht bei Leipzig.
1. Die Kanonade und das Kleingewehrfeuer dauerten rund um die
Stadt ganz in der Nähe der äußeren Tore aufs hitzigste fort. Viele
Kugeln flogen in die Stadt und stifteten gar manches Unheil an. In
den Vorstädten plünderten Franzosen. Sie suchten nach Pulver. Wie
wir erfuhren, hatte die gesamte Besatzung heute nur halbe Portionen
Munition bekommen können. Am Brühl, ziemlich nahe am Haufe meiner
Frau, ging Feuer auf. Es ward aber bald gedämpft. Ich ging aus dem
von der zusammengepferchten Menschenmenge mit Stickluft angefüllten
Gewölbe mehrmals hinauf in meine Zimmer, die ins Freie sehen. Am
Fenster pfiffen mir aber einige Kugeln doch zu nahe an der Nase vorbei,
deshalb zog ich mich wieder zurück.
2. Endlich, endlich — es war ungefähr 3/4l Uhr, da erhebt sich
auf der Straße, nahe bei uns, ein gräßliches Zetergeschrei. Wir erschrecken,
wissen nicht, was es ist, können's auch nicht erfahren. Ein wildes Geschrei
anderer Art folgt, eilende Pferde und eilende Menschen hören wir dahinstürmen,
alles dringt vorüber, anderes folgt nach. Gott, es war errungen! Jenes erste
Geschrei kam von einem Trupp Franzosen und Deutschen, die sich verschossen
und die Waffen von sich geworfen hatten, und auf welche die ersten ein¬