Full text: Für das sechste und siebente Schuljahr (Teil 3)

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tief. „Klettre nich sau veel op bei ollen Masten rum, mien Reinhold, du 
kannst gar to licht darunner fallen und dick bei Knoten tweibräken. Un 
dann noch eins, mien Junge! Paß op, dat du keine natten Fäute kriegst. 
Taum Andenken hebbe ick dick noch ein Paar Strümpe knütt, und wenn 
du einmal natt worden bist, dann treckst du bei glieks an. Kiek mick 
einmal an und miene dicke Backe. Dei ganze Nacht hebbe ick Tähneweidag 
hatt, und dat is blot von natte Fäute komen, dei ick vorgistern bi dat 
Kartüffelroden kregen hebbe." Dabei reichte sie mir ein Paar Strümpfe, 
die mir bis an den Magen gingen. 
2. Die gute Christel Wolters! Sie ruht nun schon längst unter dem 
Rasen. Als ich einst nach langer Abwesenheit als Schiffskapitän die alte 
Heimat besuchte, galt einer meiner ersten Gänge ihr. Sie war inzwischen 
die Frau eines ehrsamen Fleischermeisters geworden, aber im Herzen war 
sie geblieben wie damals. „Reinhold, mien Reinhold!" rief sie, indem sie 
mich in ihre Arme schloß und Freudentränen über ihre Backen rannen, 
„wat eine Freude, dat du einmal wedder herkümmst! Hebbe ick et aber 
nicht immer seggt, dat doch ein düchtigen Keerel ut dick ward?" 
Ich habe zwar ihren letzten Rat so viel wie möglich zu befolgen ge¬ 
sucht, aber es dauerte nicht lange, da waren Christels lange Strümpfe 
ebenso naß wie die vorher ausgezogenen. Die See nahm gar zu wenig 
Rücksicht; sie lief oft sehr zudringlich oben in die Stiefel hinein. Und 
gar manche Tage und Rächte blieb nichts anderes übrig, als vor dem 
Schlafengehen nicht allein die Strümpfe, sondern auch die übrigen 
Kleidungsstücke auszuwringen, die Seestiefel zum Auslecken umgekehrt auf¬ 
zuhängen und sie nach vier Stunden, d. h. nach Ablauf der Freiwache, 
so wieder anzuziehen. „Tähneweidage" habe ich allerdings damals trotz¬ 
dem nicht bekommen. 
II. 
An einem schönen Oktobertage verließ ich mit dem Vater die Heimat, 
um zunächst nach Magdeburg und von da mit einem Dampfer nach Ham¬ 
burg zu fahren. Während des ersten Reisetages sah ich jedoch nicht aus 
wie einer, deffen Wunsch nach so langem Harren in Erfüllung gegangen 
war; im Gegenteil, ich war bis zum Tode betrübt. Daß mir der Abschied 
von der Mutter so schwer werden würde, hatte ich nicht geahnt. Und als 
sie im letzten Augenblicke ihre Hände auf mein Haupt legte, den Segen 
Gottes auf mich herabrief und ihre letzten Worte waren: „Bleibe ein 
guter Mensch, mein Junge!" da blutete mein Herz. Gleichzeitig gelobte 
ich mir aber in meinem Innern, dieser letzten Worte stets eingedenk 
zu bleiben. Sie haben mich, wenn ich später einmal zu straucheln drahte, 
stets wieder auf den rechten Weg zurückgeführt, und der Segen der ge¬ 
liebten Mutter hat auf meinem Lebenswege auf mir geruht.
	        
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