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meine Körperkräfte tüchtig in Anspruch genommen. Im Schiffsraum wurde
aufgeklart; dort sah es sehr wüst aus. Alte Fleischfässer, Planken, Eisen¬
stücke, Tauwerk und Gott weiß, was alles, lagen wild durcheinander, und
ich mußte alles auf besondere Haufen schleppen. Meine schönen Beinkleider
zeigten bald eine Musterkarte von Teer, Rost und allerlei Schmutz.
„Sweizer!" donnerte des Bootsmanns Stimme in die Luke herunter,
„bring mal de drei Junfern rup, dei do bi di liggt!"
Jungfern! Was war das nun wieder? Ich sah mich verzweifelt um,
ohne etwas Jungfernähnliches zu entdecken. „Döskopp!" rief der Boots¬
mann, „se liggt ja dicht bi di, du pettst (trittst) ja drop. Sall ick dal-
komen und se dick mit'm Tamp wiesen?"
Was Tamp war, hatte ich bereits gelernt — ein Tauende. Hilflos
blickte ich nach oben. Da erschien wie ein Retter in der Rot das runde
Gesicht des Kochs über dem Lukenrande. „Ich weiß nicht, was ich bringen
soll, Koch," rief ich ihm angstvoll zu, „sagen Sie es mir doch!" „Aber
Sweizer," erwiderte er, „wie kannst du man schon wieder so dummerhaftig
sein! Süh mal unter dich. Die runden Dingers mit den drei Löchern
drin, das sünd sie, und nu nümm sie und bringe sie gau raufer; sonst
setzt's Takel!" Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu, zog einen Strick
durch die drei schweren Flaschenzugkloben, welche den merkwürdigen Namen
trugen, hing sie mir um den Hals, kletterte mit ihnen geschwind die Leiter
hinauf an Deck und brachte sie dem Bootsmann. Dieser sorgte überhaupt
dafür, „daß ich nicht durch die Kajütsfenster auf das Hinterdeck kröche",
womit er meinte, bevor ich Steuermann würde, sollte ich das Schlimme
vom Seeleben erst gründlich kennen lernen
2. Auf der obersten Spitze des Großmastes befand sich eine Wind¬
fahne, deren Flaggenschwanz sich verwickelt hatte. „Gah nah boben und
klar den Flügel!" befahl der Bootsmann barsch. Wieder kam der gut¬
mütige Koch meiner Verlegenheit zu Hilfe. „Aber Sweizer, weißt du nich
mal, was ein Flügel is? Das Ding da oben auf der Oberbramstenge,
was den Wind ßeigt; das sollst du auseinandertun!" Ich wußte Bescheid
und enterte jetzt, ohne zu zögern, nach oben. Bis zur zweiten Verlängerung
des Mastes, der Bramstenge, ging es spielend, weil die Strickleitern so
weit gehen. Dann hörten diese auf; die letzten 30 Fuß von den 120
mußte ich teils an Tauen, teils am kahlen Holze hinauf, aber es gelang.
Fast so schnell wie ein alter Matrose überwand ich die Schwierigkeiten,
kletterte bis zur höchsten Mastspitze, klarte den Flügel und war nach
fünf Minuten wieder auf Deck. Das Klettern hatte ich ja im Weferlinger
Turm und im Walde beim Ausnehmen der Krähennester genügend geübt.
„Du büst doch nich ganz so dumm, wie du aussühst," schmunzelte der Koch;
„mit der Szeit kannst du doch vielleicht noch ein vernünftiger Matrose
DietleinS Deutsches Lesebuch. Ausg. D. Teil IIl. 3. Ausl. 2