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68* Nachts*
1. Ich stehe in Waldesschatten,
wie an des Lebens Rand,
die Länder wie dämmernde Matten,
der Strom wie ein silbern Band.
2. Von fern nur schlagen die Glocken
über die Wälder herein,
ein Reh hebt den Kopf erschrocken
und schlummert gleich wieder ein.
3. Der Wald aber rühret die Wipfel
im Traum von der Felsenwand.
Denn der Herr geht über die Gipfel
und segnet das stille Land.
I. v. Eichendorff.
69. Waffrrnot*
(Nach einer holländischen Novelle).
1. Es ist kalt draußen, bitter kalt. Der scharfe, eisige Nordost dringt
in alle Winkel und durch die dicksten Winterüberzieher. Dazu liegt Schnee,
blendend weißer, fußhoher Schnee. Er klebt nicht, er stäubt beinahe
und knirscht und knattert und knittert unter jedem Tritte.
Die Mutter ist in der Stube bei den Kindern. Sie hat das vierte,
den kleinen Jann, auf dmn Arme und haucht und hallcht an die völlig
zugefrorene Fensterscheibe, um ein kleines Guckloch zu erhalten. Die
drei ältesten Kinder stehen um den breiten Kachelofen herum und sehen
mit lüsternen Augen der Großmutter zu. Großmutter, die alte, taube
Frau, die so herzensgut ist, hat Rheumatismus in den Beinen und
Armen. Sie hat harte, gute Winteräpfel auf die Ofenplatte gelegt; da
werden sie heiß und platzen und brutzeln und zischen und puffen und
werden mit jedem Augenblick noch leckerer. Endlich sind sie gar. Gro߬
mutter rakt sie unbeholfen mit der Feuerzange zu sich her und läßt sie
in ihren Schoß kollern. Und die Kinder nehmen ihre Taschentücher,
um sie anfassen zu können, und warten mundwässerig auf das Verteilen.
Ja, es sind glückliche Leute, die in dem Hause wohnen! Und es
ist äußerst heimisch in der warmen, sauberen Stube. Aber im Sommer
ist's doch noch schöner. Dann, wenn alles grün ist, fallen uns auch
die frisch geweißten Wände auf und das funkelnagelneue Ziegeldach,
welches jetzt unter seiner Schneelast überhaupt nicht zu sehen ist. Dann
liegt an der Seite des Hauses ein grünender Gemüsegarten. Dann,
wenn Flur und Baum und Haus übergössen sind von glitzerndem,