Full text: [Teil 3a = 7. u. 8. Schulj] (Teil 3a = 7. u. 8. Schulj)

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60. Des Sängers Fluch. 
Ls stand in alten Zeiten ein schloß so hoch und hehr, 
weit glänzt' es über die Alande bis an das blaue Meer, 
und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz, 
drin sprangen srische Brunnen in Regenbogenglan^ 
2. Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich, 
er saß auf seinem Throne so finster und so bleich; 
denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, 
und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut. 
3. Linst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar, 
der ein' in goldnen Locken, der andre grau von chaar; 
der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß, 
es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss'. 
Der Alte sprach zum Zungen: „Nun sei bereit, mein Sohn! 
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton! 
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! 
Ls gilt uns heut', zu rühren des Königs steinern Herz." 
3. Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, 
und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl; 
der König furchtbar prächtig, wie blut'ger Nordlichtschein, 
die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein. 
6. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, 
daß reicher, immer reicher der Klang zum Ghre schwoll. 
Dann strömte himmlisch Helle des Jünglings Stimme vor, 
des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geifterchor. 
7. Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger, goldner Zeit, 
-von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit. 
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, 
sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. 
8. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, 
des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott, 
die Königin zerflossen in Wehmut und in Lust, 
sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust. 
9- habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?" 
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib, 
er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt, 
draus statt der goldnen Lieder ein Blutftrahl hoch aufspringt. 
IO. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm, 
der Züngling hat verröchelt in seines Meisters Arm, 
der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, 
er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. 
H. Doch vor dem hohen Tore, da hält der Sängergreis, 
da faßt er feine Harfe, sie aller Harfen Preis, 
an einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt; 
dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:
	        
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