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Schimmer auf beiden Seiten, das sogenannte Zodiakallicht. Ihre blen¬
denden Strahlen fallen ungeschwächt von dem schwarzen Horizont
zunächst auf die Gipfel der Berge, während Täler und Tiefen noch in
dunkle Finsternis gehüllt bleiben und selbst die Schatten der Berge
tiefschwarz sind. Ebenso tiefschwarz erscheint der Himmel, der uns
wie ein bodenloser Raum umgibt, in dem die Sterne als grell leuchtende
Punkte hervortreten. Da die Bewegung des Mondes neunundzwanzig-
mal langsamer ist als die der Erde, so sehen wir erst nach zwölf Stunden
die östliche Seite unsers Kratergebirges silberweiß und blendend er¬
hellt, während westlich in jähem Gegensatz alles, was nicht direkt be¬
leuchtet wird, in rabenschwarze Nacht gehüllt ist. Erst nach 175 Stun¬
den erreicht die Sonne ihren höchsten Stand, und nun übersehen wir
eine weite Landschaft, die wüst und leer ist. Keine Spur von Leben,
kein Tier und keine Pflanze ist zu sehen, und kein Laut dringt zu
unserm Ohr. Nackt und öde breiten sich große Flächen von aschen¬
artigem Ansehen aus, und aus ihnen erheben sich die bezeichneten
Kraterbildungen, deren Randwälle oft viele Meilen, etwa soweit wie von
Dresden nach Leipzig, voneinander entfernt sind, während die kleinsten
Krater etwa unserm Vesuv gleichkommen. Einzelne Bergspitzen er¬
heben sich aber bis zur Höhe des Himalaja und wirken um so riesen¬
hafter, da der Mondball fünfzigmal kleiner ist als die Erde.
4. Unter unserm Fuß hat sich ein Stück Fels losgelöst; wir
sehen, wie ein gewaltiger Steinblock ins Tal hinabrollt, und wir glauben
im nächsten Augenblick ein Donnergepolter zu hören; aber alles bleibt
still und lautlos wie ein Grab; denn da es keine Luft gibt, gibt es auch
keine Schallwellen, die den Laut weitertragen. Würde eine Kanone auf
dem Monde abgefeuert, so wäre kein Ton hörbar, und wollten wir mitein¬
ander sprechen, so könnten wir wohl sehen, wie die Lippen sich bewegen,
aber vernehmen würden wir nichts. Die Stille des Todes umgibt/ uns.
Kein jubelndes Leben begrüßt den anbrechenden Tag, keine Lerche
läßt ihren schmetternden Morgengesang ertönen, kein Käfer summt,
keine Quelle murmelt, kein Morgenwind regt die rauschenden Kronen
der Bäume. Alles das, was unsre Erde zu einem gastlichen Sterne
macht, auf dem Millionen von emsigen, tätigen Menschen ihres Da¬
seins sich freuen, fehlt jener erstorbnen Welt des Mondes: das grüne
Kleid der Wälder und Fluren, der bunte Blumenteppich, die rieselnden
Bäche, die rauschenden Ströme und brandenden Meere.
5. Inzwischen ist‘die Hitze unerträglich geworden, aber erst nach
abermals 175 Stunden senkt sich die Sonne zum westlichen Horizont
herab und verschwindet allmählich, wie sie aufgegangen war.
Unser Auge erblickt einen Himmelskörper, der zunächst wie der
Mond im ersten Viertel erscheint, mit der Zunahme der Nacht immer