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gern herrschen: er sagt: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine
andern Götter haben neben mir." Darum ist es gut, ihn von Zeit
zu Zeit ein bißchen fasten zu lassen und ihm dadurch Respekt bei¬
zubringen, daß man sich gerade dann etwas Leckeres versagt, wenn
er sich schon recht daraus gefreut hatte, versucht es nur einmal,
welch herrliches Rraftgefühl dann über den Menschen kommt, wenn
er auch nur so einen ganz kleinen Lieg über den Magen errungen hat.
Die Liliputaner benutzen aber auch noch eine ganze Menge
von andern Gelegenheiten, uns zu fesseln. Bei manchen Menschen
ist es das Zigarrenrauchen, wobei ihnen die Herrschaft über sich selbst
geraubt wird. Sie beginnen mit ein bis zwei Zigarren am Tag und
steigern sich immer mehr, bis der Tag kommt, wo sie spüren, daß sie
gefesselt sind, daß die Leidenschaft des Rauchens stärker ist als sie
selbst, und sie es selbst dann nicht mehr lassen können, wenn ihr
feineres Nachdenken ihnen sagt, daß sie andern lästig fallen oder ihre
eigene Gesundheit ruinieren.
Bei Knaben findet man eine andere Leidenschaft, die sich auch
manchmal den ganzen Menschen unterjocht: Es ist die Zammelwut in
Briefmarken oder Rnsichtspostkarten usw. Diese lvut beherrscht sie so,
daß sie ihre Rrbeit vergessen, daß sie heimlich Bücher verkaufen, um
Geld für ihre Leidenschaften zu haben, und beständig in ihren Zchätzen
herumgraben wie der Geizhals in seinem Gelde, der auch für nichts
anderes mehr Zinn hat. Ruch sie wurden gefesselt, während sie schlie¬
fen —- wer wachsam ist, der hält sich selbst in Zchranken, sobald er
merkt, daß so ein Trieb ihn zum Rnechte machen will.
Es gibt noch eine Rrt Zammellust, welche die allergesährlichste
ist, weil sie den Menschen nicht nur zum Zklaven macht, sondern
auch sein Gemüt ganz und gar verhärtet. Das ist der Geiz und die
Habsucht. Ruch diese beiden bemächtigen sich des Menschen nicht als
erwachsene Riesen und im offenen Rampse, sondern als Zwerge, wenn
er gar nicht daran denkt, daß sie ihm gefährlich werden könnten.
RUe die Erwachsenen, die hartherzige Geizkragen und habsüchtige
Geldjäger geworden sind, sie haben als Rinder genau so wie ihr mit
Rbscheu die Geschichten von solchen Zklaven des Geldes gelesen und
wohl nie daran gedacht, daß sie auch einmal dazu gehören würden.
Und wenn ihr heute von erbarmungslosen Hausbesitzern hört, die
arme Leute auf die Ztraße setzen, weil sie nicht pünktlich Miete be¬
zahlen, oder von Millionären, die für wohltätige Zwecke nichts übrig
haben, so denkt ihr gewiß auch: lDie kann man das nur übers
herz bringen, und wie kann einem Menschen dabei wohl in seiner
haut sein? Dabei aber seht ihr nicht, daß ihr vielleicht auch schon in
Gefahr seid, in dieselbe Zklaverei zu kommen, indem ihr euch in
Lesebuch für Mittelschulen. Band 3 A,