3. Die deutschen Nachbarn. 7
Die innigste Verbindung besteht zwischen Deutschland und
seinem südlichen, bezw. südöstlichen Nachbar, Osterreich-Ungarn.
Die geschichtliche und völkische Entwicklung beider Staaten wirft
ein Helles Licht auf die gegenwärtigen innigen Beziehungen.
Vom Hause Habsburg aus wurden jahrhundertelang die Geschicke
des heiligen römischen Reiches deutscher Nation gelenkt, noch im
„Deutschen Bunde" spielte Osterreich eine ausschlaggebende Rolle,
und die neue Zeit hat in dem Allianzvertrag von 1879 das feste
Zusammenhalten beider Nachbarstaaten besonders betont. Heute
noch ist Osterreich-Ugarn die Wohn- und Wirkungsstätte des
größten Bruchteils des deutschen Volkstums, das außerhalb der
deutschen Reichsgrenze anzutreffen ist. Die alte Zusammen-
geHörigkeit findet ein Abbild und eine Wiederbelebung in den
neuen Verkehrswegen; denn mit keinem andern Land ist Deutschland
mit soviel Eisenbahnen (36) als wie mit Osterreich verknüpft.
Der Donauweg, der alte natürliche Vermittler zwischen Süd-
deutschland und Osterreich-Ungarn, wächst von Jahrzehnt zu
Jahrzehnt mehr in der Bedeutung als Völker- und Waren-
verkehrsstraße. So sind Deutschland und Osterreich-Ungarn in
höherm Maße voneinander abhängig geworden als wie von
irgendeinem andern Nachbar, was sich auch in dem^Iändels-
verkehr ausspricht; denn Deutschland beherrscht fast die Hälfte
der gesamten Ein- und Ausfuhr der Donau-Monarchie. Mit
Hilfe von Osterreich-Ungarn greift Deutschland nach dem Orient
hinüber, um daselbst wichtige Handelsbeziehungen anzuknüpfen.
Wie Osterreich als ein alter Bestandteil Deutschlands noch
heute ein bedeutender Vermittler, gleichsam die südliche Fortsetzung
des Deutschen Reichs nach dem Mittelmeer ist, so ist dies auch
aus gleichem Grunde in fast ähnlich hohem Grade die Schweiz.
Erst nach dem Westfälischen Frieden 1648 schied sie endgültig als
selbständiges Gebiet aus dem deutschen Reiche aus. Heute noch
ist der Hauptteil der Schweizer Bevölkerung deutsch (72 %). Die
wirtschaftliche Abhängigkeit der Schweiz von uns spricht sich gleich-
falls in dem Handelsverkehr aus, denn ein Drittel der Schweizer
Einfuhr ist deutschen Ursprungs und ein Viertel der Schweizer
Ausfuhr ist nach Deutschland gerichtet.
Einen wesentlich andern Charakter trägt das nachbarliche
Verhältnis zu dem großen Nachbar im Osten. Natürliche, ge-
schichtliche und völkische Eigentümlichkeiten lassen uns Rußland
als ein durchaus fremdes Land erscheinen. Wo in Europa sich
das größte Tiefland ausebnet, wo für Deutschland die einzige
Wachstumsmöglichkeit gegeben war, hat sich das mächtige russische
Reich entwickelt. Rußland, selbst schon halb Asien, schiebt sich
zwischen Mitteleuropa und Asien ein. Für die mit Asien zu
Lande sich allmählich entwickelnden deutschen Verbindungen über-
nimmt Rußland die Vermittlung. Wie ein starker slavischer
Wall baut sich Rußland an der deutschen Ostgrenze auf, indessen