Full text: [[Teil 2], Oberstufe, Teil 2] ([Teil 2], Oberstufe, Teil 2)

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IV. Aus der weiten Welt. 
legt ein Bataillon, sowie es eben angekommen ist, die Waffen beiseit und ordnet sich 
zum Tanze. Sofort ahmen alle Anwesenden dieses Beispiel nach; in wenigen Minuten 
gerät das ganze Feld in Bewegung: sechzigtausend Menschen, Soldaten und Bürger, 
suchen die Trübseligkeit des Unwetters durch ausgelassene Fröhlichkeit zu bekämpfen. 
Endlich soll die feierliche Handlung vor sich gehen, und wie durch einen 
freundlichen Zufall entwölkt sich jetzt auch der Himmel. Der Bischof von Autun beginnt 
die Messe. Er erhebt seine Stimme; gleichsam als Antwort ertönen die heiligen Weisen 
der Priester, und endlich braust der Choral gross und feierlich über die Versammlung hin. 
Nachdem der Gottesdienst beendigt ist, steigt Lafayette, der Kommandant der National¬ 
garde, die Stufen des Thrones hinan, um die Befehle des Königs zu empfangen. Der 
König überreicht ihm die Eidesformel; Lafayette schreitet mit der Urkunde in der 
Hand zum Altar, — und in demselben Augenblicke werden Hunderte von Fahnen 
geschwenkt, Tausende von Schwertern blitzen in der Sonne. Der General, die Armee, 
der Präsident, die Abgeordneten, alle rufen: „Ich schwöre es!“ Der König steht auf, 
reckt seine Hand gegen den Altar und spricht: „Ich, der König der Franzosen, schwöre, 
kraft der Gewalt, die mir übertragen worden ist, die Verfassung zu schützen und 
aufrecht zu erhalten, so wie sie von der Nationalversammlung beschlossen und von 
mir angenommen worden ist!“ Als die Worte verhallt waren, ergriff die Königin, von der 
Begeisterung hingerissen, den Thronerben und zeigte ihn dem versammelten Volke. 
Tausendstimmige Rufe der Freude, der Begeisterung, der Liebe überschütteten die 
Königin; alle Herzen flogen ihr zu. 
In ganz Frankreich wurde zu derselben Stunde von der Bevölkerung, die sich in 
den Hauptstädten der dreiundachtzig Departements versammelt hatte, derselbe Eid 
geleistet; alle schwuren, den König, der ja alle seine Unterthanen liebte, wieder zu 
lieben. Und in diesem Augenblicke schmolz selbst der Hais dahin, aller Stolz wich; 
jeder fühlte sich beglückt in dem allgemeinen Hochgefühl. 
Nachdem die feierliche Handlung beendigt war, gaben die Pariser und ihre Gäste 
sich der ungezwungensten Freude hin. Die Belustigungen dauerten mehrere Tage. 
Dann kehrten die Abgesandten wieder in die Provinzen zurück, entzückt und wonne¬ 
trunken, voll der edelsten Gefühle und der hochfliegendsten Hoffnungen für die 
Zukunft. Adolphe Thiers. 
141. Die Grenadiere. 
xiach Frankreich zogen zwei Grenadier’, 
J * die waren in Russland gefangen. 
Und als sie kamen ins deutsche Quartier, 
sie liessen die Köpfe hangen. 
2. Da hörten sie beide die traurige Mär: 
dass Frankreich verloren gegangen, 
besiegt und zerschlagen das grosse Heer — 
und der Kaiser, der Kaiser gefangen. 
3. Da weinten zusammen die Grenadier’ 
wohl ob der kläglichen Kunde. 
Der eine sprach: „Wie weh wird mir, 
wie brennt meine alte Wunde!“ 
4. Der andre sprach: „Das Lied ist aus, 
auch ich möcht’ mit dir sterben; 
doch hab’ ich Weib und Kind zu Haus, 
die ohne mich verderben.“ — 
5. „Was schert mich Weib, wasschertmich 
Ich trage weit bess’res Verlangen; [Kind? 
lass sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind! 
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! 
6. Gewähr’ mir Bruder, eine Bitt’: 
Wenn ich jetzt sterben werde, 
so nimm meine Leiche nach Frankreich mit, 
begrab’ mich in Frankreichs Erde! 
7. Das Ehrenkreuz am roten Band 
sollst du aufs Herz mir legen; 
die Flinte gieb mir in die Hand 
und gürt’ mir um den Degen! 
8. So will ich liegen und horchen still, 
wie eine Schildwach, im Grabe, 
bis einst ich höre Kanonengebrüll 
und wiehernder Rosse Getrabe.
	        
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