IV. Aus der weiten Welt.
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sie auch rasten — mit einem guten Schiffe unter den Füßen nimmt der See¬
mann getrost den Aampf mit ihnen auf; doch in engem Fahrwasser ohne
Sonne und Mond, mit unbekannten Strömungen und wechselnden Untiefen,
wie sie das Einlaufen in unsere nordischen Ströme so gefahrvoll machen und
durch die nur ein erfahrener Lotse den Weg führen kann — da hat eine dunkle,
stürmische Winternacht ihre Schrecken, die wohl die Thatkraft auch des tüchtigsten
Aapitäns zu lähmen und ihtt unruhig zu machen vermögen.
Die Brise frischt auf; unter ihrem Drucke jagt das Schiff schneller und
schneller durch die Fluten, aber auch jene ffnstere Batik im Westen steigt höher.
Einzelne Flocken reißen sich von ihr los und jageit wild über die starre, graue
Wolkendecke; das Barometer bleibt im Fallen, und die Nacht bricht herein.
Nur eine kleine Zahl von Uleilen ist die Elbmündung entfernt; aber
welcher Seemann wäre so vermessen, sie ohne Lotsen anzusegeln bei solcher
Finsternis und nahendem Weststurme!
Fort mit den Segeln und unter Sturmsegeln beigedreht! Noch ist Raum
zum Treiben vorhanden; in einer Stunde schon ist es vielleicht zu spät. Der
Regen strömt nieder und verengt den Gesichtskreis noch mehr. Der Leuchtturm
von Helgoland sollte längst in Sicht sein; aber vergebens sucht der Blick in
dem tiefen Dunkel — nirgends ist der ersehnte Lichtschimmer zu entdecken.
Wohin mag der tückische Flutstrom das Schiff bereits versetzt haben; wer weiß,
ob nicht bald die Brandung auf drohenden Sandbänken in unmittelbarer
Nähe schäumt?
Um das bjerz des Aapitäns legt es sich wie Eiseskälte. Der Wind
wächst, die Wogen türmen sich höher, und in unheimlich grünlichem Schimmer
leuchten ihre überbrechenden Aöpfe durch die Nacht. Ulein Gott, so nahe der
trauten cheimat und vielleicht dennoch sie nie wiedersehen!
Da schnellt er plötzlich empor. Was war das? Flimmert es ihm vor
den Augen, täuscht ihn der phosphoreszierende Schaum einer Welle? Nein,
dort ist es wieder, es zeigt sich klar und deutlich im Nachtfernrohre, oben ein
ruhiges Licht und unten nahe dem Wasser eine blau stackernde Flamme.
„Zeigt die Bluse und hißt eine Laterne," ruft der Aapitän freudig, und
eine schwere Last wälzt sich von seiner Brust. Es ist der Lotsen.kutter, der
Retter in der Not, auf den er so lange geharrt hat.
Der Steuermann entzündet die Terpentinfackel, die Laterne geht zur
Ulastspitze empor, und angstvoll richten sich aller Blicke windwärts auf den
j?uukt, von dem die Signale des Autters ausstrahlen. Wiederum stackert dessen
Bluse auf. „Hurra! er kommt, er hat uns gesehen," so ruft die Mannschaft,
und die düsteren Züge erhellen sich von neuem.
Nach wenigen Minuten hebt sich ein dunkler Schatten auf dem Wasser
ab. Bald nimmt er feste Formen an: es ist der Autler, der mit allen Segeln,
eine glühende Schaumwelle vor sich hertreibend, vor dem Winde auf das
Schiff zusteuert, Auf kaum zehn Schritt Entfernung stiegt er hinter dessen