fullscreen: Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren Hauptvertretern

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Marlene drückte sich in düsterer Angst in die Zweige im Winkest als Klemens, 
hochrot vor Entzücken, ihr gegenübergestellt wurde und ihre Land faßte. Er hatte 
sich's ausgebeten, sie zuerst sehen zu dürfen. So löste man ihnen in demselben Augen- 
blick die Binden. 
Ein Ach des höchsten, wortlosen Jubels klang von des Knaben Lippen. Er 
blieb starr auf demselben Fleck, ein verklärtes Lächeln um die Lippen, die Hellen 
Augensterne hierhin und dorthin bewegend. Er hatte vergessen, daß Marlene vor 
ihm stehen sollte, und wußte ja noch nicht, was menschliche Gestalt sei. Sie tat auch 
nichts, ihn an sich zu erinnern. Ohne Regung stand sie, nur leicht mit den Wimpern 
zuckend, welche klare, braune, tote Augen beschatteten. Noch hatte man kein Arg. 
Die Wunder, dachte man, die sie zuerst fremd ansehen, versteinern sie. Aber als die 
Freude des Knaben laut ausbrach, man ihm sagte: „das ist Marlene!" und er in 
der alten Gewohnheit mit der Land ihre Wangen suchte und sagte: „Du hast ein 
Helles Gesicht!" — da stürzten ihre Tränen hervor, sie schüttelte heftig den Kopf und 
sagte kaum vernehmlich: „Es ist ja dunkel hier! Es ist ja alles, wie es war!" 
Wer schildert das Entsetzen der nächsten Stunde! Der Arzt, tief erschüttert, 
führte sie auf einen Stuhl zum Fenster und untersuchte ihre Augen. Nichts unterschied 
die Pupillen von gesunden, als die leblose, traurige Starrheit. „Der Nerv ist 
erloschen," sagte er: „Eine heftige Erschütterung durch einen plötzlichen grellen Schein 
muß ihn getötet haben." — Die Küstersfrau verließen ihre Sinne; sie siel ihrem 
Manne totenblaß in den Arm. Klemens begriff noch kaum, was vorging. Seine 
Seele war von dem neu geschenkten Leben zu voll. Aber Marlene lag in Tränen 
aufgelöst und antwortete auf keine Frage des Arztes. Auch später erfuhr man nichts 
von ihr. Sie wisse nicht, wie es gekommen; man solle ihr vergeben, daß sie so 
kindisch geweint habe. Sie wolle alles hinnehmen, wie es ihr beschieden sei; habe sie 
es doch bisher nicht anders gekannt. 
Als man Klemens das Anglück klargemacht hatte, geriet er außer sich, stürzte zu ihr 
und schrie unaufhörlich: „Du sollstauch sehen! Ich will nichts vor dir voraushaben. 
Sei ruhig, es wird nicht alles verloren sein. Ach, nun weiß ich erst, w a s du verloren 
hättest! Es ist nichts, daß man selber sieht. Aber alles ringsum hat Augen und 
sieht uns an, als hätt' es uns lieb. And es wird dich auch ansehen; gedulde dich 
nur und weine nicht!" — And dann fragte er nach dem Arzt und drängte sich 
ungestüm an ihn und bat unter Tränen, Marlenen zu helfen. Dem braven Mann 
standen Helle Tropfen im Auge; er faßte sich mühsam, ermahnte ihn, sich zu schonen, 
er wolle sehen, was zu tun sei, und hielt ihn mit Loffnungen hin, um eine Aufregung 
zu verhüten, die ihm hätte gefährlich werden können. Den Eltern verhehlte er die 
ttostlose Wahrheit nicht. 
Aber des Knaben Schmerz schien Marlene getröstet zu haben. Sie saß still 
am Fenster und rief ihn leise zu sich. „Es muß dich nicht so kümmern," sagte sie. 
„Es kommt alles von Gott. Freue dich nur, wie ich mich freue, daß du geheilt bist. 
Du weißt ja, ich habe nie sonderlich danach verlangt. Nun wär' ich's auch zufrieden, 
wenn es meine Eltern nicht so betrübte. Aber sie werden sich daran gewöhnen, und 
du auch, und so wird es gut werden, wenn du mich nur lieb behältst, da ich nun 
bleibe, wie ich war." 
Er ließ sich nicht beruhigen, und der Arzt drang darauf, die Kinder zu trennen. 
Man führte Klemens hinunter in das größere Zimmer, wo sich die Leute aus dem 
Dorfe um ihn drängten. Sie drückten ihm der Reihe nach die Land und sagten 
herzliche Worte. Ihn betäubte die Menge. Er sagte nichts als: „Wißt ihr auch 
schon? Marlene ist blind geblieben!" und weinte dann von neuem. 
Es war hohe Zeit, ihm die Binde wieder umzutun und ihn in ein einsames, 
kühles Zimmer zu bringen. Da lag er und war erschöpft von Freude, Schmerz und
	        
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