36 
I. Die Jahres- und Festzeiten. 
6. Und am Abend tobt der Winter, 
Um die Fenster stürmt der Nord. 
„Schließt den Laden, liebe Kinder!" 
Spricht die Alte und singt fort. 
Aber mit den Flocken fliegen 
Nur Kosakenpulke 'ran; 
Rings in allen Hütten liegen 
Sechzig, auch wohl achtzig Mann. 
„Eine Mauer um uns baue!" 
Singt das fromme Mütterlein. 
7. „Eine Mauer um uns baue!" 
Singt sie fort die ganze Nacht. 
Morgens wird es still: „O schaue, 
Enkel, was der Nachbar macht!" 
Auf nach innen geht die Türe, 
Kl. Brentano. 
47. Wakdkitie im Schnee. 
Uns ist ein Stein vom Herzen. Das Unwetter hat sich gelegt. 
Ein ganz leichter Wind ist gekommen und hat die Bäume sachte von 
ihren Lasten erlöst. Ein paar mildwarme Tage sind gewesen, da hat 
sich der Schnee gesetzt, und man kann wieder gehen, wohin man will. 
Es hat sich in dieser Zeit aber doch was zugetragen drüben in 
den Karwässern. Der Berthold, dessen Familie von Jahr zu Jahr 
wächst und von Jahr zu Jahr weniger zu essen hat, ist ein Wilderer 
geworden. Das Holzen wirft viel zu wenig ab für eine Stube voll 
von Kindern. Ich schicke 4hm an Lebensmitteln, was ich vermag; aber 
das genügt nicht. Für das kranke Weib eine kräftige Suppe, für die 
Kinder ein Stück Fleisch will er haben und schießt die Rehe nieder, 
die ihm des Weges kommen. Dazu tut die Leidenschaft das Ihre, und 
so ist der Berthold, der vormaleinst als Hirt ein so guter, lustiger 
Bursch gewesen, durch Armut, Trotz und Liebe zu den Deinigen recht 
sauber zum Verbrecher herangewachsen. 
Einmal schon bin ich vor dem Förster bittend gelegen, daß er es 
dem armen Familienvater um Gottes willen ein wenig, nur ein klein 
wenig nachsehen möge, er werde sich gewiß bessern, und ich wolle mich 
für ihn zum Pfande stellen. Bis zu diesen Tagen hat er sich nicht 
gebessert; aber das Geschehnis dieser wilden Wintertage hat ihn laut 
weinen gemacht, denn seine Waldlilie liebt er über alles. 
Ein trüber Winterabend ist es gewesen. Die Fensterchen sind 
mit Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee. 
Berthold wartet bei den Kindern und bei der kranken Olga nur noch, 
bis das älteste Mädchen, die Lili, mit der Milch heimkehrt, die sie bei 
Nimmer käm' er sonst heraus; 
Daß er Gottes Allmacht spüre, 
Liegt der Schnee wohl haushoch drauß. 
„Eine Mauer um uns baue!" 
Sang das stomme Mütterlein. 
8. „Ja der Herr kann Mauern bauen! 
Liebe, gute Mutter, komm, 
Gottes Wunder anzuschauen!" 
Spricht der Enkel und ward fromm. 
Achtzehnhundertvierzehn war es, 
Als der Herr die Mauer baut'; 
In der fünften Nacht des Jahres 
Hat's dem Feind davor gegraut. — 
„Eine Mauer um uns baue!" 
Sang das fromme Mütterlein.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.