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I. Die Jahres- und Festzeiten. 
Dickicht verkrochen. Und da ist es nicht lange allein geblieben. Kaum 
heben ihm die Augen an zu sinken, da kommt ein Rudel von Rehen an 
ihm zusammen, alte und junge; und sie schnuppern an de.m Mädchen, 
und sie blicken es mit milden Augen völlig verständig und mitleidig 
an, und sie fürchten sich gar nicht vor diesem Menschenwesen, und sie 
bleiben und lassen sich nieder und benagen die Bäumchen und belecken 
einander und sind ganz zahm; das Dickicht ist ihr Winterdaheim. 
Am andern Tage hat der Schnee alles eingehüllt. Waldlilie sitzt in 
der Finsternis, die nur durch einen Dämmerschein gemildert ist, und sie 
labt sich an der Milch, die sie den Ihren hat bringen wolletl, und sie 
schmiegt sich an die guten Tiere, aus daß sie im Froste nicht ganz erstarre. 
So vergehen die bösen Stunden des Verlorenseins. Und da sich 
die Waldlilie schon hingelegt zum Sterben und in ihrer Einsalt die 
Tiere hat gebeten, daß sie getreulich bei ihr bleiben möchten in der 
letzten Sterbestunde, da fangen die Rehe jählings ganz seltsam zu 
schnuppern an und heben ihre Köpfe und spitzen die Ohren, und in 
wilden Sätzen durchbrechen sie das Dickicht, und mit gellendem Pfeifen 
stieben sie davon. 
Jetzt arbeiten sich die Männer durch Schnee und Gesträuche 
herein und sehen mit lautem Jubel das Mädchen, und einer ruft: 
„Hab' ich nicht gesagt, kommt mit herein zu sehen, vielleicht ist sie bei 
den Rehen!" 
So hat es sich zugetragen; und wie der Berthold gehört, die 
Tiere des Waldes hätten sein Kind gerettet, daß es nicht erfroren, da 
schreit er wie närrisch: „Nimmermehr! Mein Lebtag nimmermehr!" 
Und seinen Kugelstutzen, mit dem er seit manchem Jahre Tiere des 
Waldes getötet, hat er an einem Stein zerschmettert. 
Ich habe es selber gesehen, denn ich und der Pfarrer sind in den 
Karwässern gewesen, um die Waldlilie suchen zu helfen. 
P. K. Rosegger. 
48. Des fremden Kindes heiliger Christ, 
4. Es lauft ein fremdes Kind 
Am Abend vor Weihnachten 
Durch eine Stadt geschwind, 
Die Lichter zu betrachten, 
Die angezündet sind. 
3. Das Kindlein weint und spricht: 
«Ein jedes Kind hat heute 
Ein Bäumchen und ein Licht 
Und hat dran seine Freude, 
Nur bloß ich armes nicht. 
2. Es steht vor jedem Haus 
Und sieht die hellen Räume, 
Die drinnen schaun heraus, 
Die lampen vollen Bäume; 
Weh wird's ihm überaus. 
4. An der Geschwister Hand, 
Als ich daheim gesessen, 
Hat es mir auch gebrannt; 
Doch hier bin ich vergessen, 
In diesem fremden Land.
	        
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