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tritt. Der König befahl ihr, den Helden aus Niederland zum Danke
für das, was er getan, zu grüßen. Da freute sich Siegfried im
Herzen und blieb noch gern in Worms; denn er gedachte, die schöne
Kriemhild sich zur Gemahlin zu gewinnen. Das sollte ihm bald
durch einen neuen und wichtigen Dienst, den er dem König erwies,
gelingen.
Brunhild. Auch der König Günther hatte noch keine Gemahlin.
Da erhielt er Kunde, daß auf einer Insel im Meer eine Königstochter
lebe, schön von Gestalt, und von solcher Kraft, daß sie mit den stärksten
Rittern den Wettkampf einginge. Wer sie zum Weibe begehrte, der
mußte drei Kampffpiele mit ihr bestehen, und wenn er nur in einem
von ihr besiegt wurde, so verlor er sein Haupt. König Günther be¬
schloß, hinzuziehen und um ihre Hand zu werben. Vergeblich widerriet
ihm Siegfried die Reise; die Königin sei so stark, sagte er, daß wohl
vier Ritter sie nicht besiegten; allein Günther bestand auf seinem Sinne.
„Sie möge", antwortete er, „so stark sein, wie sie wolle, die Reise
muß geschehen." Da sagte Hagen: „So hört meinen Rat, bittet Sieg¬
fried, daß er mit euch ziehe, da er von Brunhild so gute Kunde
hat." Der König tat, wie ihm geraten, und Siegfried antwortete:
„Ich begleite dich gern, wenn du mir deine Schwester, die edle Kriem-
hild, zum Weibe gibst; weiter begehre ich keinen Lohn." „Das will ich
dir geloben", sprach Günther, „kommt die schöne Brunhild her in dieses
Land, so will ich dir meine Schwester zum Weibe geben."
Da machten sie sich auf den Weg, Günther, Siegfried, Hagen und
Dankwart, der Bruder des letztern. Auf eiuem Schiffe fuhren sie den
Rhein abwärts und gelangten nach zwölf Tagen nach dem Jsenstein,
einer Veste im Lande Brunhildens.
Als sie gelandet waren, bestiegen sie ihre Rosse und ritten hinauf
zu der Burg. Brunhilden war angesagt, daß fremde Ritter in das
Land gekommen seien; sie legte daher schönes Gewand an und ging,
begleitet von ihren Rittern, zu den Gästen hinunter. Als sie Siegfried
sah, erkannte sie ihn sogleich und redete ihn an: „Seid mir willkommen,
Siegfried, hier in meinem Lande! Aber sagt, was führt euch her?"
Siegfried antwortete, daß Günther, sein Herr, gekommen sei, um sie
zur Gemahlin zu gewinnen. „Wenn er meine Kampfspiele besteht",
entgegnete sie, „und geht daraus als Sieger hervor, so werde ich sein
Weib. Verliert er aber auch nur eins, so geht es ihm ans Leben. Er
soll einen Stein werfen und danach springen und den Speer mit
mir um die Wette schleudern." Als Günther das kraftvolle und mutige
Weib sah, wurde ihm bange; aber Siegfried ermutigte ihn, und so