Full text: (Achtes und neuntes Schuljahr) (Teil 4 für Kl. 2 u. 1)

„Pate Jochem," sagte ich leise, „hört Ihr nicht so ein Brummen 
in der Erden?" 
„Ja freilich, Bub'," entgegnete er, „es donnert was! Es ist ein 
Erdbidn." Da tat er schon ein kläglich Stöhnen. Auf der eisernen Straße 
heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde 
aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern 
und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und hintenher — 
„Kreuz Gottes!" rief mein Pate, da hangen ja ganze Häuser dran!" 
Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an das Lokomotiv 
wären ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen 
konnten, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern 
heranrollen, und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, 
und schrecklich schnell ging's, und ein solches Brausen war, daß einem 
der Verstand stillstand. Das bringt kein Herrgott mehr zum Stehen! 
fiel's mir noch ein. Da hub der Pate die beiden Hände empor und rief 
mit verzweifelter Stimme: „Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig ins 
Loch!" Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern 
in der Tiefe; die Rückseite des letzten Wagens schrumpfte zusammen, 
nur ein Lichtlein davon sah man noch eine Weile, dann war alles ver¬ 
schwunden; bloß der Boden dröhnte, und aus dem Loche stieg still und 
träge der Rauch. 
Mein Pate wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Angesicht 
und starrte in den Tunnel. Dann sah er mich an und fragte: „Hast du's 
auch gesehen, Bub'?" 
„Ich hab's auch gesehen." 
„Nachher kann's keine Blenderei gewesen sein," murmelte der Jochem. 
Wir gingen auf der Fahrstraße den Berg hinan; wir sahen aus 
mehreren Schachten Rauch hervorsteigen. Tief unter unsern Füßen im 
Berge ging der Dampfwagen. 
„Die sind hin!" sagte mein Pate, und meinte die Eisenbahnreisenden. 
„Die übermütigen Leut' sind selber ins Grab gesprungen!" 
Beim Gasthause auf dem Semmering war es völlig still; die großen 
Stallungen waren leer; die Tische in den Gastzimmern, die Pferdetröge 
an der Straße waren unbesetzt. Der Wirt, sonst der stolze Beherrscher 
dieser Straße, lud uns höflich zu einer Jause ein. 
„Mir ist aller Appetit vergangen," antwortete mein Pate; „ge¬ 
scheite Leut' essen nicht viel, und ich bin heut' um ein Stück! gescheiter 
worden." Bei dem Monumente Karls VI. standen wir still und sahen
	        
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