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VI. Aus dem Menschenleben.
Der Landwirt Vormann, der das alles aus seinem Fenster mit angesehen
hatte, trat jetzt auf Konrad zu und fragte ihn: „Warum rauchst du nicht?
Hast du deine Pfeife zerbrochen?" „Nein, sie ist nur da hinabgerutscht,"
antwortete der Knecht; „aber ich will die Gäule nicht aufwecken, will lieber
warten, bis es wieder ins Feld geht."
„Du bist ein braver Knecht," sagte Vormann und reichte ihm die eigene,
silberbeschlagene Pfeife aus dem Munde. „Da, nimm und behalte das zum
Danke dafür! Es wird dir gut gehen; denn wer die Ruhestunde eines Tieres
schont, der ist auch rechtschaffen gegen Menschen. Wir bleiben hoffentlich
lebenslang bei einander." — So geschah es auch. Bertholt Auerbach.
200. Jungfer Margarete.
Bas war die träge Margaret’, die wollte die Hand nicht regen;
da musste die alte Mutter allein wischen, waschen und fegen.
2. Das war die eitle Margaret’, die putzte sich schon am Morgen;
da musste die alte Mutter allein Küche und Keller besorgen.
3. Das war die schöne Margaret’, die that den Burschen gefallen;
sie tanzten und kosten gern mit ihr; doch nahm sie keiner von allen.
4. Das war die verlass’ne Margaret’; es kamen und gingen die Jahre:
vorbei war Putz und Spiel und Tanz, die Mutter lag auf der Bahre.
5. Das ist die hungrige Margaret’, sie mag die Hand nicht rühren;
dort kommt sie mit dem Bettelsack und bettelt vor den Thüren.
Julius Sturm.
201. Lebensweisheit des alten Witt.
d^err Tobias Witt war atls einer nur mäßigen Stadt gebürtig tind nie
weit über die nächsten Dörfer gekommen. Dennoch hatte er mehr von
der Welt gesehen als mancher, der sein Erbteil in Paris oder Neapel verzehrt
hat. Er erzählte gern allerhand kleine Geschichtchen, die er sich hie und da
aus eigener Erfahrung gesammelt hatte. Poetisches Verdienst hatten sie wenig,
aber desto mehr praktisches, und das besonderste an ihnen war, daß ihrer je
zwei und zwei zusammengehörten.
Einmal lobte ihn ein junger Bekannter, Herr Till, seiner Klugheit wegen.
— „Ei!" sing der alte Witt an und schmunzelte, „wär' ich denn wirklich so klug?"
„Die ganze Welt sagt's, Herr Witt, und weil ich es auch gern würde —"
„Je nun, wenn Er das werden will, das ist leicht. — Er muß nur fleißig
achtgeben, Herr Till, wie es die Narren machen."
„Was! Wie es die Narren machen?"
„Ja, Herr Till! Und muß es dann anders machen als die."
„Als zum Beispiel?"