Full text: Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit

Der Krimkrieg 1854—1856. 475 
Der Krimkrieg 1854—1856. 
Nachdem die Revolutionen, welche um die Mitte unseres Jahr- 
Hunderts Europa erschütterten, vorübergegangen waren, ohne Rußland 
zu ergreifen (selbst'Polen war ruhig geblieben), glaubte der Zar Nikolaus 
(1825—1855) die alte Eroberungspolitik Rußlands (unter Katharina II.) 
gegen die Türkei wieder aufnehmen zu können. Das Bedürfnis der Ruhe 
und Sammlung in den meisten europäischen Staaten, von denen sich 
der Zar Österreich überdies durch Niederwerfung des ungarischen Auf- 
standes besonders verpflichtet zu haben glaubte, wie die zerrütteten poli- 
tischen Verhältnisse der Türkei, die Nikolaus im vertrauten Gespräch 
„den kranken Mann" nannte, schienen in gleicher Weise seine Pläne zu 
begünstigen. Eben waren vier Jahrhunderte verflossen, seit die Türken 
Konstantinopel genommen hatten, als sich Nikolaus anschickte, sie 
wieder aus Europa zu vertreiben. Er forderte zunächst in barscher Protektorat 
Weise durch einen außerordentlichen Gesandten') vom Sultan das Pro- "ieei{rJgn 
tektorat über sämtliche Christen griechischen Bekenntnisses, die im türkischen Christen. 
Reiche wohnten. Durch die Gewährung dieses Ansinnens hätte der Zar 
bei der engen Verflechtung bürgerlicher und religiöser Angelegenheiten 
im osmanischen Reich fast zum Mitregenten des Sultans werden müssen. 
Als die Türkei deshalb diese Forderung zurückwies, ließ Nickolans rus- Rußlmad besetzt 
sische Truppen über den Prut rücken und die Donaufürstentümer als 
„Pfand" besetzen (1853). Nun vereinigten sich England, das aus Handels- 1853 
interesse den Bosporus und die Dardanellen nicht unter russische Herr- 
schuft kommen lassen wollte, und Napoleon III., der durch einen glück- 
liehen Krieg gegen Rußland seinem Volke nicht nur Rache für den Feld- 
zug von 1812 zu verschaffen, sondern durch einen militärischen Erfolg 
auch seine eigene Herrschaft zu befestigen hoffte, mit der bedrohten Türkei 
und ließen ein vereinigtes Heer in Warna (an der bulgarischen Küste) Englisch-fran- 
landen (1854). Als nun auch Österreich die Räumung der Donanfürften- 
tümer verlangte, zogen sich die Russen „aus strategischen Gründen" 
wieder über den Prut zurück, worauf die Moldau und Walachei für die 
Dauer des Krieges mit Zustimmung der Pforte von österreichischen 
Truppen besetzt wurden.2) England, Frankreich und die Türkei schickten 
nun eine vereinigte Streitmacht nach der Halbinsel Krim. Nachdem sie 
ein russisches Heer in der Schlacht an der Alma (1854) besiegt hatten, 
i) Fürst Menschikosf. Er unterließ es, beim Minister des Äußern um eine 
Audienz beim Sultan nachzusuchen, sondern forderte sie von diesem selbst und trat 
auf Bewilligung derselben im Reisepaletot und mit bestaubten Stiefeln beim Groß- 
Herrn ein. 
*) Dieser „Dank vorn Haus Österreich" für die Niederwerfung des ungarischen 
Aufstandes zerriß die Freundschaft, die zwischen Österreich und Rußland aus den 
Zeiten der hl. Allianz und Metternichs noch bestand, vollständig. Übrigens war die 
von Rußland 1849 geleistete Hilfe für Österreich in so. demütigende Formen gekleidet 
(der Tagesbefehl des Zaren an seine Truppen, der Österreich gar nicht erwähnte, 
sagte: „Wo der Feind sich erkühnte, euch zu erwarten, da habt ihr ihn besiegt und 
die Fliehenden Schritt für Schritt verfolgend, habt ihr ein seltenes Ereignis gesehen: 
die ganze feindliche Streitmacht hat vor euch die Waffen gestreckt und sich unbedingt 
Unserer Gnade unterworfen"), daß der österreichische Minister Schwarzenberg sagen 
konnte: „Die Welt soll über unsere Undankbarkeit erstaunen." Schwarzenberg starb 
übrigens schon 1852,
	        
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