Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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erleichtert durch die Weichheit des hängenden Kätzchens und die Zartheit 
des Kätzchenstiels. Jeder Windstoß bringt den Blütenstand in eine pendelnde 
Bewegung, und diese genügt, die Staubbeutel zum Freigeben des Blüten¬ 
staubes zu veranlassen. 
Der Umstand, daß der Strauch noch nicht belaubt ist, bietet der 
Bestäubung einen wesentlichen Vorteil. Wie sollte der Wind die Kätzchen 
erreichen, wenn die Blätter schon vollständig entwickelt wären, wie könnte er 
den herausfallenden Blütenstaub aufnehmen und fortführen? Die Blätter 
würden ihn daran hindern. Und wie sollte die vom Lufthauch davon¬ 
getragene Staubwolke auf die Narben der Blüten andrer Haselsträucher 
gelangen, wenn auch jene von Blättern umgeben, im Laube verborgen wären? 
Wir erkennen also, daß die frühe, vor der Belaubung stattfindende Blüte 
der Haseln von der Natur beabsichtigt ist und auf eine Erleichterung der 
Bestäubung durch den Wind hinzielt. 
2. Die Zahl der männlichen Blüten, welche in einem Kätzchen zu¬ 
sammengedrängt stehen, geht in die Hunderte. Jede einzelne Blüte trägt 
acht Staubblätter; jedes Staubblatt besitzt wiederum viele Tausende von 
Pollenkörnern; so entwickelt ein einziger Strauch in der großen Zahl der 
herabhängenden Kätzchen eine ungeheure Menge von Blütenstaubkörnern. 
Über diese Menge Blütenstaubes werden wir staunen, wenn wir die ver¬ 
hältnismäßig geringe Zahl der weiblichen Blüten in Betracht ziehen. Diese 
finden wir an den jüngeren Zweigen des Strauches, daher im allgemeinen 
höher stehend oder mehr nach außen als die männlichen Blüten und so dem 
Winde noch stärker ausgesetzt als jene. Sie stehen auch zu mehreren zu¬ 
sammen, und ihr Blütenstand gleicht geschlossenen Blattknospen; nur die 
hervorragenden rotfarbigen und fadenförmigen Griffel verraten ihre wahre 
Natur. Um sämtliche Stempelblüten eines Strauches zu befruchten, würde 
noch nicht der tausendste Teil der von einem Strauche gleicher Größe 
entwickelten Pollenkörner nötig fein. Und doch muß die Pflanze soviel 
Blütenstaub ausbilden, um die Befruchtung zu sichern. Man bedenke nur, 
wie unendlich viele Staubkörner verloren gehen! Bald führt der Wind 
den Blütenstaub in eine Richtung, in welcher er überhaupt keinen Hasel¬ 
strauch antrifft; bald schlägt ein plötzlicher Regen ganze Wolken des Staubes 
nieder und macht die Pollenkörner für die Befruchtung unfähig, denn nichts 
fft ihnen in dieser Hinsicht schädlicher als Nässe. Ein großer Teil bleibt 
an anderen Bäumen, Hecken, Zäunen, Häusern haften, kurz, nur ein ganz ge¬ 
ringer Bruchteil gelangt glücklich an die Stelle, wo seine Anwesenheit nötig 
ijt, nämlich auf die Narben der Stempelblüten anderer Hafelsträuche. Damit 
aber dieser kleine Teil wenigstens dorthin gelangt, damit die Befruchtung 
der Stempelblüten unter allen Umständen gesichert wird, muß die Pflanze in 
den männlichen Blüten eine so gewaltige Menge des Blütenstaubes erzeugen. 
Dietletns Deutsches Lesebuch. Ausg. v. Teil III. 2. Aufl. 11
	        
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