Wenn du aber etwas Schönes auf dem Leibe hast, sei es nur
ein schön Halstuch oder ein frisch Hemd mit weißer Brust oder
gar eine goldene Nadel und dergleichen, da gehst du oft mit
herausforderndem Blick hinaus und schlägst die Augen dann
nieder, um nicht zu bemerken, wie alle Leute, was sie in Händen
haben, stehn und liegen lassen und gar nichts weiter tun, als
deine Herrlichkeiten betrachten. — So meinst du, aber das ist
auch gefehlt, kein Blick wendet sich nach dir und deiner Pracht.
Das einemal meinst du, man sieht dich gar nicht, und das
anderemal, die ganze Welt hat auf dich gewartet, um dich zu
beschauen; aber beides ist gefehlt.
Gerade so ist’s auch mit deinen Tugenden und Lastern. Wenn
du einen bösen Weg gehst, meinst du, es kennt dich kein Mensch,
und keiner sieht nach dir um, und es ist stockdunkel; wenn du
aber dem Rechtschaffenen nachgehst, redest du dir oft ein, jeder
Pflasterstein hat Augen, jedes Kind kennt dich und deine Ge¬
danken, und tausend Sonnen scheinen.
Aber das Gute wie das Schlimme wird oft von der Welt über¬
sehen. Ein Auge sieht alles, das ist Gottes. Drum halte dich
selber vor deinem Gott über dir und vor deinem Gewissen in dir
in Ehren; dann brauchst du nicht das einemal zu fürchten, daß
dich alles sieht, und dir dabei etwas vorlügen und das anderemal
zu zürnen, daß dich niemand sieht.
11 Deutscher R&t, Von Robert Reitiick.
Deutscher Jugendkalender für 1850. Leipzig. 8. 48.
1. Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr!
Latz nie die Lüge deinen Mund entweihn!
Don alters her im deutschen Volke war
der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein.
2. Du bist ein deutsches Kind, so denke dran!
Noch bist du jung, noch ist es nicht so schwer.
Aus einem Knaben aber wird ein Mann -
das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr.
3. Sprich ja und nein, und dreh' und deutle nicht!
Was du berichtest, sage kurz und schlicht!
Was du gelobtest, sei dir höchste Pflicht!
Dein Wort sei heilig, drum verschwend' es nicht!