Full text: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

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sanft und liebreich zu dem Vogel, schnalzte dabei ermunternd mit der 
Zunge und nickte freundlich mit dem Kopfe dazu. Jetzt richtete sich der 
Vogel auf, drehte den Schwanz bald rechts, bald links, machte, den Kopf 
neigend, eine Art Verbeugung, wie das die Dompfaffen zu tun pflegen, 
und sang ohne Anstoß mit rundem, weichem, klarem Tone feine Melodie. 
„Prächtig!" rief der erfreute König, „noch einmal!" — Und der 
Vogel sang aus seines Lehrmeisters Ermunterung das Lied noch einmal 
ebenso richtig und schön, wie das erstemal. „Das muß Euch doch aber 
viel Mühe und Geduld gekostet haben?" fragte der König. — „Ja, 
sehen Sie, Majestät, „versetzte der Vogelhändler, „man soll zwar einen 
Menschen nicht mit einem Tiere vergleichen, aber es geht hier doch nicht 
anders. Mit zehn habe ich es versucht, aber die Kerle waren alle stock¬ 
dumm, lernten's entweder gar nicht oder nur stümperhaft. Da fing 
ich's mit dem da an. Der hatte Talent; ich sah's ihm gleich an. Er 
lernte es in viel kürzerer Zeit ganz, als die zehn andern es stückweise 
gelernt haben. Ja, Majestät, es ist unter den Tieren wie unter den 
Menschen: es gibt Gescheite darunter, aber auch Esel!" — „Das soll 
wohl wahr sein!" lachte der König. „Aber was soll der Vogel kosten?" 
— „Geld will und mag ich dafür nicht, aber" — sagte bittend der 
Vogelhändler, „will mein Herr und König das Tierchen annehmen — 
dann macht der Gedanke, daß es in seinem Zimmer pfeift und singt, 
mich zum glücklichsten Menschen in unserm Harzgebirge!" 
Der König fand Wohlgefallen an dem biederen Sohn der Berge. 
Er befahl dem herbeigerufenen Kammerdiener Timm, dem Vogelhändler 
im Seitenflügel des Schlosses eine Wohnung einzuräumen und ihn wohl 
zu bewirten, auch ihm einen königlichen Diener mitzugeben, der ihn zu 
allen Sehenswürdigkeiten Berlins führen solle, die ihm nur irgend an¬ 
ziehend sein möchten. 
Das gefiel dem Harzer über die Maßen, und er pries während 
seines Bleibens, das mehrere Tage währte, aus vollem Herzen die 
Gnade des Königs. Mehrmals ließ ihn der König rufen, um sich an 
seinen naturwüchsigen Urteilen über die gesehenen Herrlichkeiten zu 
erfreuen, aber auch, um sich nach den Verhältnissen jenes Gebirgslandes 
und nebenbei auch nach seinen eigenen genau und unvermerkt zu 
erkundigen. Da vernahm der König wahr und ungeschminkt aus dem 
Munde des einfachen Mannes allerlei Dinge über seine Heimat, die er 
nie gekannt hatte. Gemütlich und vertrauensvoll berichtete er über sein 
Gewerbe und was es ihm abwerfe, über feine Familie und deren Erwerb 
und Ergehen — und unter anderm, daß er noch auf seinem Hause eine 
Porger-Wolff, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. III. Brauuschw.-Hannover. 17
	        
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