^ 25 T
sanft und liebreich zu dem Vogel, schnalzte dabei ermunternd mit der
Zunge und nickte freundlich mit dem Kopfe dazu. Jetzt richtete sich der
Vogel auf, drehte den Schwanz bald rechts, bald links, machte, den Kopf
neigend, eine Art Verbeugung, wie das die Dompfaffen zu tun pflegen,
und sang ohne Anstoß mit rundem, weichem, klarem Tone feine Melodie.
„Prächtig!" rief der erfreute König, „noch einmal!" — Und der
Vogel sang aus seines Lehrmeisters Ermunterung das Lied noch einmal
ebenso richtig und schön, wie das erstemal. „Das muß Euch doch aber
viel Mühe und Geduld gekostet haben?" fragte der König. — „Ja,
sehen Sie, Majestät, „versetzte der Vogelhändler, „man soll zwar einen
Menschen nicht mit einem Tiere vergleichen, aber es geht hier doch nicht
anders. Mit zehn habe ich es versucht, aber die Kerle waren alle stock¬
dumm, lernten's entweder gar nicht oder nur stümperhaft. Da fing
ich's mit dem da an. Der hatte Talent; ich sah's ihm gleich an. Er
lernte es in viel kürzerer Zeit ganz, als die zehn andern es stückweise
gelernt haben. Ja, Majestät, es ist unter den Tieren wie unter den
Menschen: es gibt Gescheite darunter, aber auch Esel!" — „Das soll
wohl wahr sein!" lachte der König. „Aber was soll der Vogel kosten?"
— „Geld will und mag ich dafür nicht, aber" — sagte bittend der
Vogelhändler, „will mein Herr und König das Tierchen annehmen —
dann macht der Gedanke, daß es in seinem Zimmer pfeift und singt,
mich zum glücklichsten Menschen in unserm Harzgebirge!"
Der König fand Wohlgefallen an dem biederen Sohn der Berge.
Er befahl dem herbeigerufenen Kammerdiener Timm, dem Vogelhändler
im Seitenflügel des Schlosses eine Wohnung einzuräumen und ihn wohl
zu bewirten, auch ihm einen königlichen Diener mitzugeben, der ihn zu
allen Sehenswürdigkeiten Berlins führen solle, die ihm nur irgend an¬
ziehend sein möchten.
Das gefiel dem Harzer über die Maßen, und er pries während
seines Bleibens, das mehrere Tage währte, aus vollem Herzen die
Gnade des Königs. Mehrmals ließ ihn der König rufen, um sich an
seinen naturwüchsigen Urteilen über die gesehenen Herrlichkeiten zu
erfreuen, aber auch, um sich nach den Verhältnissen jenes Gebirgslandes
und nebenbei auch nach seinen eigenen genau und unvermerkt zu
erkundigen. Da vernahm der König wahr und ungeschminkt aus dem
Munde des einfachen Mannes allerlei Dinge über seine Heimat, die er
nie gekannt hatte. Gemütlich und vertrauensvoll berichtete er über sein
Gewerbe und was es ihm abwerfe, über feine Familie und deren Erwerb
und Ergehen — und unter anderm, daß er noch auf seinem Hause eine
Porger-Wolff, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. III. Brauuschw.-Hannover. 17