Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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Jacken und bunten Kleider zeigen, daß sie in ländlicher Abgeschieden¬ 
heit aufgewachsen sind. 
Aus einem der Häuser kommen hochgewachsene Burschen, die 
weiten Baumwollhosen in die Stiefel gestopft, eine flache, graue Schirm¬ 
mütze auf dem kurzgeschorenen, blonden Kopf und den Oberkörper in 
einer Art Litewka 10. Es sind Küssen, die ihr Letztes verkauft und ihre 
Wolgasteppe verlassen haben, weil sie nicht wie so viele ihrer Nachbarn 
zugrunde gehen wollten, und weil es sie verlangte nach einem Lande, in 
dem man nicht wegen allerhand Vergehen nach dem eisigen Sibirien 
verschickt werden kann. 
3. Sie alle hoffen auf ein besseres Los und sind heiter und voll Freude 
in den Tagen, da sie in Bremen auf die Abfahrt des Schiffes warten, das 
sie nach der Neuen Welt bringen soll. Sie sind nicht betrübt, daß sie ihre 
Heimat hinter sich haben; sie weinen nicht, daß sie die letzten Stunden 
auf dem heimatlichen Erdteile verbringen. Nein, sie sind alle voll Sehn¬ 
sucht und Ungeduld, voll Zufriedenheit, etwas erwarten zu können. 
Dieser Frohsinn begleitet die Auswanderer bei allen Förmlichkeiten, 
die sie noch vor dem Betreten des Dampfers zu erledigen haben. Selbst 
bei der Impfung, bei der sie mit dem sonst etwas gefürchteten Arzt 
in Berührung kommen, verlieren sie nicht ganz ihre fröhliche Stimmung. 
Bei diesem Impfen werden zugleich sämtliche Auswanderer auf ihren 
Gesundheitszustand untersucht. Nur die gesund befundenen dürfen 
am nächsten Tage das Schiff betreten. 
4. Am Morgen nach der Impfung der letzten Zwischendeckspassa¬ 
giere, die für einen Dampfer des Norddeutschen Lloyd bestimmt sind, 
gehen vom Bremer Hauptbahnhofe Sonderzüge mit den Passagieren 
nach Bremerhaven ab, wo der bereits angeheizte Dampfer auf sie wartet. 
Mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel klettern die ,,Zwischendecker“ 
hinein in die Wagen. Die meisten überlassen sich auf der kurzen Strecke 
noch einem kurzen Schlafe. 
In Bremerhaven wird alles unruhig. Mit den Bündeln und Kisten 
in der Hand, die Kinder an den Rockschößen, laufen sie wirr durch¬ 
einander. Es ist nicht so leicht, in dieses Gewirr der Völker und Sprachen 
Ordnung hineinzubringen. Eine ganze Menge Wärter müssen hinzu¬ 
springen und die Menschenknäuel entwirren. Das muß rasch gehen. 
Jede Minute ist kostbar. Die Flut geht in einer Viertelstunde zurück, 
und bis dahin muß der Dampfer hinaus auf die offene See. Vorher 
müssen die Auswanderer aber erst noch an der Zollkammer vorbei, und 
ihre Fahr- und Gesundheitsscheine müssen noch untersucht werden.
	        
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