41
Jacken und bunten Kleider zeigen, daß sie in ländlicher Abgeschieden¬
heit aufgewachsen sind.
Aus einem der Häuser kommen hochgewachsene Burschen, die
weiten Baumwollhosen in die Stiefel gestopft, eine flache, graue Schirm¬
mütze auf dem kurzgeschorenen, blonden Kopf und den Oberkörper in
einer Art Litewka 10. Es sind Küssen, die ihr Letztes verkauft und ihre
Wolgasteppe verlassen haben, weil sie nicht wie so viele ihrer Nachbarn
zugrunde gehen wollten, und weil es sie verlangte nach einem Lande, in
dem man nicht wegen allerhand Vergehen nach dem eisigen Sibirien
verschickt werden kann.
3. Sie alle hoffen auf ein besseres Los und sind heiter und voll Freude
in den Tagen, da sie in Bremen auf die Abfahrt des Schiffes warten, das
sie nach der Neuen Welt bringen soll. Sie sind nicht betrübt, daß sie ihre
Heimat hinter sich haben; sie weinen nicht, daß sie die letzten Stunden
auf dem heimatlichen Erdteile verbringen. Nein, sie sind alle voll Sehn¬
sucht und Ungeduld, voll Zufriedenheit, etwas erwarten zu können.
Dieser Frohsinn begleitet die Auswanderer bei allen Förmlichkeiten,
die sie noch vor dem Betreten des Dampfers zu erledigen haben. Selbst
bei der Impfung, bei der sie mit dem sonst etwas gefürchteten Arzt
in Berührung kommen, verlieren sie nicht ganz ihre fröhliche Stimmung.
Bei diesem Impfen werden zugleich sämtliche Auswanderer auf ihren
Gesundheitszustand untersucht. Nur die gesund befundenen dürfen
am nächsten Tage das Schiff betreten.
4. Am Morgen nach der Impfung der letzten Zwischendeckspassa¬
giere, die für einen Dampfer des Norddeutschen Lloyd bestimmt sind,
gehen vom Bremer Hauptbahnhofe Sonderzüge mit den Passagieren
nach Bremerhaven ab, wo der bereits angeheizte Dampfer auf sie wartet.
Mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel klettern die ,,Zwischendecker“
hinein in die Wagen. Die meisten überlassen sich auf der kurzen Strecke
noch einem kurzen Schlafe.
In Bremerhaven wird alles unruhig. Mit den Bündeln und Kisten
in der Hand, die Kinder an den Rockschößen, laufen sie wirr durch¬
einander. Es ist nicht so leicht, in dieses Gewirr der Völker und Sprachen
Ordnung hineinzubringen. Eine ganze Menge Wärter müssen hinzu¬
springen und die Menschenknäuel entwirren. Das muß rasch gehen.
Jede Minute ist kostbar. Die Flut geht in einer Viertelstunde zurück,
und bis dahin muß der Dampfer hinaus auf die offene See. Vorher
müssen die Auswanderer aber erst noch an der Zollkammer vorbei, und
ihre Fahr- und Gesundheitsscheine müssen noch untersucht werden.